Die Aktienmärkte spiegeln die Sorgen und Ängste der Anleger wider. In Deutschland und darüber hinaus in Europa standen die Investoren seit Jahresbeginn mehr auf der Verkäufer-Seite. Dies führte zu einem deutlichen Rückgang der Bewertungen.

Chart: Europäische Aktienmärkte im ersten Quartal 2022: Im Gleichklang 20 % abwärts bis Anfang März, dann eine Erholung. Bewertung zum 30.03. 10 % unter Jahresbeginn.

  • blau: Dax
  • rot: MDax
  • grün: EURO STOXX
  • schwarz: Europe Mid 200
  • grau: Europe Small 200

Quelle: infront

Wenn wir den Blick über die Grenzen von Europa hinaus auf die Bewertung der weltweiten Aktienmärkte richten, stellen wir überrascht fest: Der Weltindex liegt zum Ende des ersten Quartals 2022 nur eineinhalb Prozent niedriger als zu Jahresbeginn.

Chart: wie oben, jetzt jedoch ergänzt mit dem Weltaktienindex

  • Braune Linie: iShares ETF auf den Weltaktienindex, dargestellt in Euro

Quelle: infront

Der Rückstand der europäischen Aktienmärkte auf den Weltindex ist nicht erst seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine zu beobachten. Auch im  gesamten Jahr 2021 blieb die Wertentwicklung von Dax, MDax, EURO STOXX, Euro Mid- und Small Caps deutlich hinter dem Weltaktienindex zurück.

Chart: wie oben, jedoch jetzt für den Zeitraum seit Anfang 2021 bis 30. März 2022

Quelle: infront

Erneut hat sich bestätigt, dass eine sehr breite Streuung des Aktieninvestments mit Berücksichtigung der Größe der jeweiligen nationalen Aktienmärkte dazu beiträgt, ein gutes Anlageergebnis zu erreichen. Und die (Aktien-) Musik spielt nun mal in den USA und nicht in Europa und schon gar nicht in Deutschland. In den USA haben die weltbeherrschenden Konzerne ihren Sitz. In den USA sitzen die Unternehmen, die über zwei Drittel des Aktienkapitals der 23 Industrieländer, die im Weltindex berücksichtigt werden, repräsentieren.

Grafik: Aufteilung des iShares ETF auf den MSCI Weltaktienindex

Quelle: FactSheet iShares Weltaktienindex Stand 28.02.2022

Der deutsche Aktienmarkt ist im Weltindex mit einem Anteil von (nur) 2,39 % repräsentiert.

Wie geht es nun weiter?

Vor dem Hintergrund des aktuellen Krieges in der Ukraine können sich die Erwartungen der Investoren und damit ihre Stimmungslage innerhalb von Stunden ändern. Auf der einen Seite könnte z.B. der Einsatz von chemischen Waffen zu einer sofortigen Eskalation des Kriegsgeschehens führen. Auf der anderen Seite könnte die Vereinbarung eines Waffenstillstandes zur Fortsetzung von Friedensverhandlungen zu einer deutlichen Entspannung führen. Eine seriöse Einschätzung, dass sich die Aktienmärkte in diese oder jene Richtung entwickeln, ist in einer solchen Situation nicht möglich.

Versuchen wir trotzem, die einzelnen Faktoren etwas näher zu beleuchten.

Die Inflation: sehr hoch in 2022, dann wieder niedriger in 2023

Grundsätzlich sollten wir zwei Begriffe unterscheiden, die allerdings in den Nachrichten kaum voneinander getrennt werden: Inflation und Teuerung.

Eine Teuerung tritt ein, wenn für ein Wirtschaftsgut oder eine Dienstleistung die Nachfrage das Angebot übersteigt. Ein Beispiel ist die extreme Preissteigerung bei Gebrauchtwagen, vor allem in den USA, als Hunderttausende von Neuwagen wegen fehlender Teile nicht ausgeliefert wurden. Damit ging einerseits das Angebot von Gebrauchtwagen zurück, weil die bisherigen Besitzer nicht verkauften – sie bekamen ja ihren bestellten Neuwagen nicht ausgeliefert. Und andere, die dringend einen fahrbaren Untersatz brauchten, zahlten mehr, um nur irgendetwas Fahrbares zu erhalten. Sobald dieser Lieferengpass aufgelöst wird, werden die Preise wieder zurückgehen.

Inflation entwickelt sich, wenn eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt wird: Alle reden von Inflation, die Arbeitnehmer fordern und erhalten eine deutliche Lohnerhöhung, die Unternehmen geben die erhöhten Kosten über die Verkaufspreise weiter, eine weitere Preissteigerung ist die Folge, eine weitere Lohnerhöhungsrunde folgt, … die Spirale dreht sich.

Capital Economics erwartet für die USA in 2022 eine Inflation von 5,8 % und für 2023 einen Rückgang auf 2,2 %. Für die Eurozone liegen die Prognosen bei 6,0 % für 2022 und 3,0 % für 2023. Die Prognosen anderer Häuser liegen auf der gleichen Linie: hohe Preissteigerung in 2022, sodann Rückgang der Inflation in 2023.

Die DWS stellt fest, dass die Folgen des Krieges in der Ukraine überall in der Welt preistrebend wirkt.

Quelle: DWS

Leitzinsen werden deutlich angehoben

Die Notenbanken der USA (Fed) und der Eurozone (EZB) haben gemäß ihrem Mandat die Aufgabe, die Geldwertstabilität zu sichern. Die Fed hat zusätzlich auch auf den Arbeitsmarkt zu achten. Die EZB versucht seit langem (ohne dass dies ihr ausdrückliches Mandat wäre), mit niedrigen Zinsen die Finanzierungskosten vor allem für die südlichen Länder der Eurozone gering zu halten.

Die Fed hat bereits begonnen, die Leitzinsen anzuheben. Im März erfolgte eine Erhöhung um 0,25 %. Weitere Erhöhungen sind angekündigt. Capital Ecomics sieht die Fed-Rate per Ende 2022 bei 2,0 % und per Ende 2023 bei 3,0 %. Die EZB wird etwas später folgen, bis Ende 2022 bei plus 0,25 % (derzeit noch minus 0,5 %) und bis Ende 2023 bei plus 1,5 %.

Höhere Zinsen sollen die Nachfrage nach Dienstleistungen und Produkten bremsen. Verbraucher und Unternehmen, die Anschaffungen und Investitionen mit Krediten finanzieren, kaufen und investieren bei höheren Zinsen weniger. So soll die Inflation gebremst werden. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch eine geringere Nachfrage und damit ein geringeres Wirtschaftswachstum. So müssen die Notenbanken sorgfältig abwägen, ab welcher Zinshöhe die Nachfrage zu sehr gebremst wird.

Viele Kommentare weisen darauf hin, dass die Wirtschaft in der Vergangenheit trotz Zinserhöhungen weiter gewachsen ist. Hier ist Ursache und Wirkung zu unterscheiden: Zinserhöhungen werden begonnen, weil die Wirtschaft überschäumt (wie derzeit in den USA). Es dauert dann eine Weile, bis die Bremsung wirkt. So lange wächst die Wirtschaft noch eine Weile weiter – trotz, und nicht wegen – der Zinserhöhung.

Das Wirtschaftswachstum wird zurückgehen

Das Wirtschaftswachstum wird alleine schon wegen der Folgen des Krieges in der Ukraine zurückgehen. Europa wird sich um die Unterbringung von Millionen Menschen, die um ihr Leben fliehen, kümmern müssen. Energie wird knapp und teuer. Lieferketten werden gestört oder ganz unterbrochen. In Europa könnte fehlende Energie in zahlreichen Unternehmen zu einem vollständigen Produktionsstopp führen.

In China sind die Infektionen durch den Covid-Virus gestiegen. Die Behörden in China reagieren extrem schnell und konsequent. Sie riegeln ganze Städte oder Stadtteile ab, auch wenn davon Millionen Menschen betroffen sind. Die Folgen hiervon: auch in China stockt die Produktion immer wieder und immer öfter. Unternehmen überall auf der Welt warten auf Teile und können ihre Produkte nicht fertigstellen.

In den USA profitieren einige Branchen von den Folgen des Krieges. Die Fracking-Industrie erlebt einen neuen Nachfrageschub, Rüstungsfirmen erhalten Milliardenaufträge. Die USA werden auch kaum unter einem Energiemangel leiden.

Capital Economics prognostiziert, dass die Auswirkungen des Krieges das globale Wirtschaftswachstum in 2022 um 0,5 % (im Verhältnis zur vorher schon reduzierten Prognose) abschwächen wird. Die USA wachsen nur noch um 3,1 %, die Eurozone um nur noch 2,8 %.

Die DWS rechnet ebenfalls mit einer deutlichen Abschwächung des Wirtschaftswachstums im Verhältnis zum Basis-Szenario, in Europa um 1,4 %, in den USA um 0,9 %.

Grafik: Abschwächung des Wirtschaftswachstums als Folge des Krieges in der Ukraine

Quelle: DWS

Energieversorgung: wird teuer und ist ein zentrales Problem

Derzeit beobachten wir vor allem ein deutlich erhöhtes Preisniveau bei Energie. Öl der Sorte Brent lag per 30.03. bei 113,93 USD. Capital Economics erwartet nicht, dass dieses Preisniveau sehr lange gehalten wird und sieht den Ölpreis Ende 2022 bei 100 USD pro Barrel und Ende 2023 bei 80 USD. Hier spielt mit, dass Öl grundsätzich an fast jeden Ort transportiert werden kann, dass die USA ihre Ölproduktion hochfahren können und dass die Verbraucher sparsamer mit Energie umgehen.

Die Lieferanten für Gas können nicht so einfach ausgetauscht werden. Zum Transport brauchen wir Pipelines, die erst gebaut werden müssen. Für Flüssiggas brauchen wir Verladestationen zur Verflüssigung des Gases, spezielle LNG-Tanker und am Zielort erneut ein LNG-Terminal. Dies wird Jahre dauern.

Die Versorgung mit Gas ist damit vermutlich der kritischste Punkt für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Europa inklusive Deutschland. Steht Gas weiterhin in ausreichender Menge zur Verfügung, kann Europa weiter wachsen. Fallen Lieferungen nachhaltig aus, wird Europa vermutlich in eine Rezession abgleiten.

Die Aktienmärkte werden volatil bleiben

Diese Prognose, die auf dieser Webseite schon mehrfach wiederholt wurde, gilt per Anfang April noch genauso. Die kurzfristige Entwicklung wird schwankungsreich bleiben. Die Börsen werden sehr sensibel und vermutlich heftig auf das Geschehen im Kriegsgebiet und vor allem auf das Ergebnis (oder Nicht-Ergebnis) von Verhandlungen über einen Waffenstillstand und weiterführende Regelungen reagieren.

Wirtschaft und Aktienkurse werden langsamer wachsen

Bis Ende 2023 prognostizieren alle Marktteilnehmer ein weiteres Wachstum der Wirtschaft, jedoch langsamer als in den letzten zehn Jahren. Die Gewinne der Unternehmen werden auch künftig zulegen und zu einer höheren Bewertung der Aktienkurse führen, jedoch nicht mehr so rasant wie in den letzten Jahren.

Langfrist-Investoren bleiben weit gestreut  investiert

Anleger, die ihr Investment wie auf dieser Webseite stets empfohlen als ein langfristiges Investment betrachten, bleiben investiert und nehmen die kurzfristigen Schwankungen in Kauf. Langfrist-Investment: das bedeutet mindestens fünf weitere Jahre, für viele mit Blick auf 10 Jahre oder noch deutlich länger.

Die Investments sollten breit gestreut sein und sich nicht auf eine einzige Wirtschaftsregion, eine einzige Branche oder ein bestimmtes „Mode-Thema“ fokussieren. Mit einem breit aufgestellten Basis-Investment in Aktien fangen wir das langfristige Trendwachstum der Weltwirtschaft ein. Besondere Chancen könnten ergänzend gesucht werden, jedoch stets mit einem kleinen Anteil des Gesamtinvestments.

Dies Empfehlung, als Langfrist-Investor breit gestreut investiert zu bleiben, beruht auch auf der Prognose der GDP-Entwicklung für 2022 und 2023, die von Capital Economics brandaktuell neu bereitgestellt wurde. Mit einer einzigen Ausnahme (Russland) ist diese Prognose für alle benannten Staaten sowohl für 2022 als auch für 2023 positiv. Wenn Sie die ebenfalls aufgeführten Werte für die letzten zweiundzwanzig Jahre (2000 bis 2021) betrachten, werden Sie feststellen, dass die Abweichungen gegen den langfristigen Durchschnitt nicht wirklich entscheidend sind.

Tabelle: Entwicklung des GDP (Gross Domestic Product = der Gesamtwert aller Güten, Waren und Dienstleistungen, die während eines Jahres innerhalb der Landesgrenezen einer Volkswirtschaft als Endprodukt hergestellt werden, nach Abzug aller Vorleistungen. In Deutschland meist als „BIP“ = Bruttoinlandsprodukt bezeichnet)

Quelle: Capital Economics

Paul Quinsee, Managing Director und Global Head of Equities bei J.P. Mogan Asset Management, fasst den vielseitigen Bericht über die Ergebnisse der vierteljährlichen Strategiesitzung von JPM wie folgt zusammen:

Oliver Schickentanz, Chefanlagestratege der Commerzbank, empfiehlt in seiner „Wertpapierstrategie“ für den April 2022:

Quelle: Wertpapierstrategie, Commerzbank, Ausgabe April 2022

Buchempfehlung

Zum Abschluss habe ich noch eine Buchempfehlung für Sie. Javier Blas und Jack Farchy beschreiben in ihrem Buch, wie die Commody-Trader (die weltweit agierenden großen Handelsgesellschaften für Öl, Gas, Metalle, Weizen, Mais und zahlreiche weiteren „Commodities“) durch spekulative Trades unermesslich hohe Gewinne erzielen. Sie haben ihren Sitz in der Schweiz und in anderen Niedrigsteuerländern, sie finanzieren teilweise den Staatshaushalt von rohstoffreichen kleinen Ländern, sie haben korrupte Politiker in zahlreichen Ländern auf ihrer Payroll, sie profitieren von Informationsvorteilen, sie beeinflussen die Preise auch für Weizen und Mais und treiben damit Millionen von Menschen, die ohnehin schon am Existenzminimum leben, in den Hunger, … und sie profitieren von Verwerfungen in den Märkten, wie wir sie derzeit durch die Invasion Russlands in der Ukraine erleben.

Buch bei Amazon: 25,28 Euro. Als Kindle 9,49 Euro oder als Hörbuch zu beziehen. Text und Audio in Englisch.

Walter Feil