In vielen Kommentaren westlicher Medien lesen wir seit langem, dass die „Blase im Immobilienmarkt in China“ demnächst platzen werde. Worte wie „Platzen“ und „Blase“ lassen bei uns Bilder von Zusammenbruch und Chaos entstehen.
Wie dramatisch ist die Entwicklung in China tatsächlich? Wird die Wirtschaft des 1,3-Milliarden-Volkes demnächst zusammenbrechen und mit seiner schieren Größe auch alle westlichen Wirtschaftsregionen in ein Chaos stürzen?
Tatsächlich gab es Jahre, in denen die chinesische Wirtschaft um jährlich mehr als 15 % zulegte. Dieses Jahr wird die Wachstumsrate bei vermutlich etwas unter 7,5 % liegen, was eine glatte Halbierung gegenüber früher bedeutet. Nur: 7,5 % Steigerung der absoluten Leistungsdaten heute sind immer noch mehr als 15 % Steigerung der früher deutlich geringeren Leistungsdaten. Vergleichen Sie hierzu den Beitrag vom 25.4.2014 Wirtschaftswachstum absolut und relativ.
China strebt den Wandel zur Konsumgesellschaft an
In früheren Jahren wurde das Wachstum in China vor allem durch die gigantischen Investitionen in Infrastrukturprojekte und die Entwicklung von Mega-Metropolen angetrieben. Der jetzigen Regierung ist klar, dass dieses durch ebenso gigantische Kreditvergaben finanzierten Investitionen nicht weiterhin der wesentliche Treiber des Wirtschaftswachstums sein können. Die starke Expansion der Kreditvergabe würde, wenn sie mit gleichem Tempo fortgesetzt wird, in absehbarer Zeit zu massiven Problemen führen und könnte tatsächlich in einen Kollaps münden. Das erklärte Ziel der gegenwärtigen Regierung ist, den Anteil der kreditfinanzierten Investitionen zu reduzieren und den Anteil des aus laufendem Einkommen bezahlten Konsums zu erhöhen. Die Chancen, das das Politbüro dieses Ziel in seiner zehnjährigen Amtszeit erreichen wird, stehen sehr gut. (siehe auch den Beitrag vom 10.2.2014 Reformen in China – Wirtschaftswachstum wird zunächst abnehmen)
Die Wachstumsverlangsamung ist unter Kontrolle
Tatsächlich zeigen zahlreiche Indikatoren an, dass sich das Wachstum in der Schwerindustrie und vor allem im Immobiliensektor verlangsamt. Der renommierte Wirtschaftsdienst CAPITAL ECONOMIC (CE) dokumentiert jedoch in seinem jüngsten Bericht vom 28. August, dass diese Verlangsamung unter Kontrolle ist und „die politische Führung zahlreiche Möglichkeiten hat, das Wachstum auch kurzfristig wieder anzuschieben“. In den nächsten Monaten erwartet CE nur „eine moderate Verlangsamung“.
Schauen wir uns hierzu die Entwicklung in einigen Kernbereichen näher an:
Wirtschaftswachstum verlangsamt sich kontinuierlich bereits seit 2010
Die Bremsung der Wirtschaftsdynamik begann bereits 2010, nachdem im Jahr 2008 vor dem Hintergrund der weltweiten Finanz- und Kreditkrise ein (unbeabsichtigter) starker Rückgang zu verzeichnen war. Dieser Rückgang wurde in China kurzfristig durch eine starke Expansion der Investitionen in Infrastrukturprojekte wieder ausgeglichen. Anfang 2010 befand sich die Wachstumsgeschwindigkeit wieder auf dem Pfad, der einer kontinuierlichen Verlangsamung – ausgehend vom Höchst vor 2008 – entsprach. Die Verlangsamung verläuft jetzt mit geringerer Bremswirkung. CE erwartet für 2015 ein Wachstum von 7,0 Prozent und für 2016 6,5 Prozent.
Feine Steuerung durch Verlangsamung und Beschleunigung von Infrastrukturmaßnahmen
Die chinesische Regierung befindet sich bezüglich der Steuerung des Wachstums in einer komfortablen Situation.
- Das Land verfügt über die schier unvorstellbare Summe von etwa 4 Billionen (4.000 Milliarden) USD Devisenreserven und erwirtschaftet Jahr für Jahr einen weiteren Handelsbilanzüberschuss.
- Entscheidungen über den Beginn, die Beschleunigung und die Finanzierung von Infrastrukturprojekten können in Windeseile getroffen und umgesetzt werden. Die in unseren westlichen Demokratie-Systemen üblichen Verfahren, die häufig zu jahrzehntelangen Blockaden von größeren Projekten führen, kennt die chinesische Politführung nicht. (Die deutsche „Energiewende“ wäre in China bereits realisiert, während hierzulande noch … /aber lassen wir diese Betrachtung an dieser Stelle außen vor.)
- Für beschlossene und in Gang gesetzte Maßnahmen stehen unvorstellbare Heere von Arbeitern zur Verfügung, die das Projekt bei Bedarf sieben Tage die Woche und 24 Stunden pro Tag vorantreiben. Ich habe anlässlich meiner ersten Chinareise im Jahr 2010 mit eigenen Augen beobachtet, mit welchem Einsatz und mit welcher Konsequenz einige Projekte im Umfeld meines Hotels kurz vor Beginn der Expo 2010 in Shanghai vorangetrieben wurden. Das Tempo der Arbeiten an Projekten ist für uns Europäer absolut ungewohnt. Deutsche Autofahrer würden jeden Tag eine Dankeskarte senden, wenn unsere Autobahnbaustellen in zwei Monaten statt in zwei Jahren vollendet wären.
Damit kann China das Wirtschaftswachstum und – extrem wichtig! – die Entwicklung des Angebotes von Arbeitsplätzen effizient und mit kurzen Reaktionszeiten steuern. Die Grafik zeigt das Hochfahren und wieder Zurücknehmen der Infrastrukturmaßnahmen im Zeitraum von 2007 bis 2014 (siehe schwarze Linie)
Am Mittwoch dieser Woche hat das State Council in China die besondere Wichtigkeit von Maßnahmen zur Reduzierung von Umweltverschmutzung, die Energieerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen, die Verbesserung von medizinischen Einrichtungen und andere dienstleistungsorientierte Infrastrukturmaßnahmen betont. Daraus schließe ich, dass diese Maßnahmen jetzt im Fokus stehen und besonders gefördert werden, zum Beispiel durch Zuschüsse, durch Bereitstellung von Finanzierungsmitteln und durch beschleunigte Genehmigungsverfahren. So kann die Konjunktur bei Bedarf angeschoben und gleichzeitig der Umweltschutz verbessert werden.
In dieses Bild passt auch die vorläufig noch unbestätigte Meldung, die gestern über Bloomberg verbreitet wurde: China will das bereits bestehende Programm zur Förderung von Elektroautos massiv ausweiten. 100 Milliarden Yuan (ca. 12 Milliarden Euro) sollen für den Ausbau von Ladestationen und zur Subventionierung von Elektroautos bereitgestellt werden. 30 Prozent des Fuhrparks von Behörden soll auf Elektrofahrzeuge umgestellt werden. In Gesprächen während meiner zweiten Chinareise im Mai dieses Jahres wurde darauf hingewiesen, dass Elektroautos auch das Recht erhalten sollen, die Bus- und Taxispuren in den chronisch verstopften Großstädten zu benutzen.
Immobilienmarkt im Wandel – preiswertes Wohnen im Fokus
Kritische Beobachter werden nicht müde, immer wieder die enormen Preissteigerungen im Immobilienmarkt der chinesischen Mega-Städte zu betonen. Diese Blase werde mit lautem Knall platzen und die Region in den Ruin treiben. Jetzt erleben wir den Rückgang der Immobilienpreise im Luxus-Segment. Der laute Knall blieb aus, auch weil diese Immobilien traditionell mit einem sehr hohen Eigenkapitalanteil (häufig über 50 Prozent) sind.
Im letzten Monat sind die Preise von Luxuswohnungen in 55 von 70 Großstädten in China leicht zurückgegangen, im Monat zuvor schon in 40 von 70 Großstädten. (In unseren Medien lesen wir neuerdings über das „Problem“ zurückgehender Immobilienpreise. Was jetzt? Sollen die Preise weiter steigen und die „Blase“ weiter aufblähen? Oder sollen die Preise langsam wieder sinken?) Auslöser für den Preisrückgang war nicht zuletzt die massive Antikorruptions-Kampagne von Staatspräsident Xi Jinping, zu der auch die geplante Offenlegung von Immobilieneigentum von Staatsbeamten gehört. Das Wall Street Journal berichtet von der zunehmenden Angst der betroffenen Staatsdiener, die jahrelang bereitwillig „Geschenke“ in Form von Luxuswohnungen angenommen hatten und jetzt mit Aufdeckung rechnen müssen. Massenhafte Verkäufe unter großem Zeitdruck vor Erstellung des Eigentumsregisters führen zur durchaus gewünschten Dämpfung des Preisauftriebs in diesem Segment. (siehe Wall Street Journal – Chinas Beamte wollen ihre Luxusvillen loswerden)
Gefördert wird dagegen der Bau von „Affordable Housing“, womit die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten gemeint ist. Dieser „bezahlbare Wohnraum“ ist gemäß der chinesischen Gesellschaftsordnung extrem wichtig. Wie mir Lio Haining, ein Unternehmensberater mit ausgezeichneten Deutschkenntnissen, während einer mehrstündigen Busfahrt auf verstopften Autobahnen in China im Mai 2014 erläuterte, entspricht es der chinesischen Tradition, dass junge Frauen erst dann einer Heirat zustimmen, wenn ihr Bräutigam ein Eigenheim (kleines Haus oder Wohnung) bereitstellen kann. Die Eltern des Bräutigams unterstützen typischerweise den Kauf eines Eigenheims mit Eigenkapital. Da es in China infolge der jahrelangen Ein-Kind-Politik und der damit verbundenen Neigung, weibliche Fötusse abzutreiben, einem deutlichen Männerüberschuss (54 Prozent Männer gegen 46 Prozent Frauen) gibt, müssen sich die Jungmänner sehr anstrengen, den Erwartungen der jungen Damen zu entsprechen.
So schließt sich der Kreis: Bezahlbarer Wohnraum ist sehr gefragt. Die Regierung fördert diesen Immobiliensektor, indem sie – unter anderem – die Finanzierung erleichtert und preisgünstiges Bauland zur Verfügung stellt. Die Zunahme der Bauprojekte für preiswertes Wohnen deckt den dringenden Bedarf der heiratswilligen Männer und stabilisiert die Entwicklung der Konjunktur.
Kontrollierte Eindämmung des Kreditwachstums
Die PBOC (Peoples Bank of China = Chinesische Zentralbank) zeigt wenig Neigung, ihre Geldpolitik in diesem Jahr auf breiter Front zu lockern. Wie es scheint, möchte sie sie das Kreditwachstum im wesentlichen stabil halten. Dies erfordert es, dass die Kreditvergabe durch Banken in einigen Bereichen ausgeweitet wird, um den (durchaus gewünschten) Rückgang des „Social Lendings“ (Schattenbankensystem mit Krediten zwischen Unternehmen, nicht überwachten Trusts und ähnlichen Einrichtungen) auszugleichen.
Die Grafik zeigt die kontrollierte Bremsung des Kreditwachstums, wobei vor allem das von zahlreichen China-Beobachtern als gefährlich betrachtete „Social Lending“ Schritt für Schritt zurückgefahren wird.
Eine jüngst begebene Anweisung des State Council forderte die PBOC auf, die Kreditvergabe an kleinere und mittlere Unternehmen, die wie in Europa auch in China die meisten Arbeitsplätze schaffen, sowie die Finanzierung von bezahlbarem Wohnraum auszuweiten. Desgleichen soll auch die Finanzierung von Eisenbahnprojekten, Dienstleistungsunternehmen, Umweltschutzmaßnahmen und die Agrarwirtschaft ausgeweitet werden. Das Ziel dieser Anweisung ist nicht nur die Förderung der Kreditvergabe in diesem Bereichen, sondern auch eine Beschleunigung des Wandels von einer investitionsgetriebenen zu einer dienstleistungs- und konsumorientierten Gesellschaft.
Handelsbilanzüberschuss baut die Devisenreserven weiter auf
Der Handelsbilanzüberschuss nahm in jüngster Zeit wieder deutlich zu und erreichte in den letzten Monaten einen neuen Höchststand. Damit erwirtschaftet China Monat für Monat eine weitere Aufstockung seiner Devisenreserven. Diese Reserven im Gegenwert von mittlerweile an die vier Billionen USD stellen ein beruhigendes Polster dar, mit dem China auch etwaige Turbulenzen während seiner Wandlung von einer investitionsgetriebenen in eine konsumorientierte Wirtschaft gelassen überstehen kann.
Ob die chinesische Wirtschaft um 7,5 Prozent, 7,0 Prozent oder (nur?) 6,5 % wächst, ist aus meiner Sicht nicht die wichtigste Frage. Wichtiger als die prozentuale Veränderung der Wachstumsgeschwindigkeit ist:
- Die Wirtschaft in China wächst heute in absoluten Zahlen betrachtet mehr als in früheren Zeiten
- Die Regierung hat den klar erkennbaren Willen, die Mittel und die Möglichkeiten, das Wachstum durch gezielte Maßnahmen innerhalb des gewünschten Korridors zu steuern.
Damit sehe ich beste Chancen, dass China die Wandlung zur konsumorientierten Gesellschaft umsetzen kann und dabei stets innerhalb des geplanten Wachstumskorridors bleibt.
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