Ein Virus bestimmt den Börsenverlauf

Ende März 2020 sorgt sich die Welt um den Fortbestand unseres Wohlstandes. Ein Virus bringt unsere Wirtschaft zum Stillstand. Genauer gesagt: die Maßnahmen, die wir selbst treffen, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, bis ein Impfstoff gefunden ist.

Kurzfristige Prognosen sind nicht möglich

Eine seriöse Prognose über die weitere kurzfristige Entwicklung der Börsen erscheint mir nicht möglich. Die großen Analysehäuser mit ihren Spezialisten für die Entwicklung von Volkswirtschaft und Börsenkursen sprechen derzeit meist in „Szenarien“. Sie beschreiben im wesentlichen drei mögliche Entwicklungen, die sich darin unterscheiden, wie lange das „social distancing“ und der damit verbundene Stillstand des Wirtschaftslebens fortgesetzt werden muss. Je früher die Wirtschaft wieder hochgefahren werden kann, desto schneller werden sich auch die Börsenkurse erholen.

Das Handelsblatt fasst diese Szenarien in einem Artikel vom 30.03.2020 zusammen. Zitat: „Eine Rezession ist jetzt nicht zu vermeiden. Aber: Die Wirtschaftsweisen halten eine schnelle Erholung für wahrscheinlich, wenn über den Sommer der Stillstand nach und nach wieder aufgehoben wird.“

Drei denkbare Szenarien

In einem Sondergutachten unterscheiden die Wirtschaftsweisen drei Szenarien. Ich fasse zusammen:

Schnelle Erholung
Scharfer Einbruch der Wirtschaftsleistung im März und April, dann aber nach fünf Wochen Stillstand eine schnelle Erholung ab Mai. Wachstum nach der Krise höher als der Rückgang in 2020.

Großflächiger Stillstand
Nach dem Stillstand der Reise-, Veranstaltungs- und Gastronomiebranche folgen großflächige Produktionsstillegungen, über den Sommer dann jedoch eine schnelle Erholung. Wachstumsrate nach der Krise in 2021 fast so groß wie der Wachstumsrückgang in 2020.

Viele Insolvenzen
Wenn zahlreiche Unternehmen insolvent werden, („vom Markt verschwinden“), dauert die Erholung sehr viel länger. Die Wachstumsrate nach der Krise wäre mit 1 % gering.

Rückgang in 2020 – starker Anstieg in 2021

Die Commerzbank rechnet gemäß ihren „Gesamtwirtschlichen Prognosen“ für 2020 mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung in 2020, dann jedoch mit einem starken Anstieg in 2021. Im Einzelnen:

  • USA: 2020 minus 2,0 %, 2021 plus 5,0 %
  • Euroraum: 2020 minus 4,0 %, 2021 plus 4,5 %
  • China: 2020 plus 4,0 %, 2021 plus 5,8 %
  • Welt: 2020 plus 0,5 %, 2021 plus 4,2 %

Was bedeutet dies für die Allokation von Investitionen?

Die Börsen nehmen erfahrungsgemäß die erwarteten Entwicklungen der Unternehmensgewinne um drei bis sechs Monate voraus. Eine Reduzierung der Gewinne, auch eine Anzahl Insolvenzen, erscheint nach dem starken Rückgang der Kurse weitgehend eingepreist.

Wir wissen per Ende März 2020 allerdings noch nicht, welches der drei oben benannten Szenarien eintreten wird. So mag jeder Anleger seine Entscheidungen über die Allokation gemäß seiner persönlichen Erwartung treffen.

  • Erwartung: Anhaltender Zusammenbruch der Wirtschaft 
    Verlassen der Investmentmärkte. Stattdessen Geld auf Konten, ergänzt durch weitere Investments, deren Bewertung nicht von den Gewinnen der Unternehmen beeinflusst wird.
  • Erwartung: Großflächiger Stillstand der Wirtschaft, Hochfahren im Sommer
    Aussitzen des Kurseinbruchs ohne wesentliche Veränderungen. Wir wissen nicht, wann genau die Wirtschaft wieder hochgefahren werden kann und mit welcher Vorlaufzeit die Börsen darauf reagieren. Ein Verlassen der Märkte könnte dazu führen, dass man den Wiedereinstieg verpasst und dann monatelang einem günstigen Wiedereinstieg hinterherläuft.
  • Erwartung: Schnelle Erholung
    Aufstocken der Investitionen in den Aktienmärkten. So günstig wie derzeit wird ein Kauf so schnell nicht mehr möglich sein. Vielleicht haben wir Glück (im Sinne einer günstigen Kaufgelegenheit) und die Kurse fallen nach der ersten Erholung (Tief im März war am 23.03., seitdem schon über 10 % plus) noch einmal nach unten.

Ergänzend sollte in Betracht gezogen werden:

  • Die USA als größte Volkswirtschaft der Welt haben viel Zeit verstreichen lassen, bevor massive Maßnahmen zur Eindämmung einer weiteren Verbreitung des Virus in Gang gesetzt wurden. Per Ende März droht die Situation zu eskalieren. Niemand kann mit Bestimmtheit vorhersagen, welche Maßnahmen die USA die nächsten Wochen zusätzlich noch in Gang setzen müssen.
  • Von mehreren Seiten kommen Informationen über erste Erfolge bei der Entwicklung von Medikamenten, die das Virus bekämpfen. Sollte sich herausstellen, dass ein bereits zugelassener Wirkstoff auch Erfolge gegen das Corona-Virus zeitigt, könnte dies zu einer sehr schnellen Erholung der Börsenkurse führen.

Besinnung auf den langfristigen Charakter eines Aktieninvestments

Die Entwicklung der letzten Wochen hat uns schmerzhaft daran erinnert, dass die Wertentwicklung von Aktieninvestments immer wieder mal großen Schwankungen (die letzten Wochen: nach unten) unterliegt. Mit der monatlichen Betrachtung der jeweils aktuellen Entwicklung haben wir den Fokus stark auf die kurzfristige Entwicklung gelegt. Wenn wir uns (wieder?) darauf besinnen, dass ein Aktieninvestment stets für eine lange (Rest-) Anlagedauer von zehn Jahren oder länger gedacht ist, erscheint die gegenwärtige Entwicklung nicht mehr so dramatisch, sonder eher als eine der üblichen Schwankungen im Strom der Zeit.

Die rote Linie zeigt die Wertentwicklung des MSCI World (inklusive Dividenden, nach Quellensteuern) für die letzten zehn Jahre an, unter Berücksichtigung des jüngsten Rückgangs. Der gesamte Wertzuwachs liegt bei 134 %. Der durchschnittliche Wertzuwachs beträgt 8,67 %.

Walter Feil