Sex, Zigarettenschmuggel und Drogenhandel zählen in Italien jetzt zur Berechnungsgrundlage des BIP (Brutto-Inlands-Produkt). Damit erhöht sich die Bemessungsgrundlage für zahlreiche Kennzahlen, unter anderem auch die Bezugsgröße für die Darstellung der Staatsverschuldung: vor kurzem veröffentlichte Istat (Statistikamt in Italien) für 2013 noch einen Schuldenstand von 132,6 Prozent der Wirtschaftsleistung. Jetzt sind es nur noch 127,9 Prozent.

Das öffnet – zumindest optisch – weiteren Spielraum, die Staatsverschuldung noch höher zu treiben. Auch das jährliche Defizit im Staatshaushalt erscheint jetzt optisch geringer.

Europaweit neue Statistik-Regeln

Italien ist allerdings nicht das einzige Land, das seine statistische Zahlenbasis umgestellt hat. Vorher haben schon Deutschland, die Niederlande und Frankreich die Regeln des ESVG (Europäisches System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung) umgesetzt, die ab 1. September europaweit vorgeschrieben sind.

Erheblicher Einfluss der Schattenwirtschaft

Wie groß die Bedeutung der Schattenwirtschaft in den Statistiken sein kann, zeigt wieder das Beispiel Italiens. Als dort 1987 erstmals die Schattenwirtschaft in die Berechnung einbezogen wurde, stieg das BIP über Nacht (in der Statistik!) um 18 Prozent.

75 Milliarden offene Rechnungen erscheinen nicht in der Schuldenstatistik

Gemäß dem Bericht der Zentralbank schuldet der italienische Staat  den Unternehmen des Landes 75 Milliarden Euro. Jeder Geschäftsmann, der eine ordnungsgemäße Bilanz aufstellen will, weist darin sowohl seine Bankschulden als auch seine Lieferantenverbindlichkeiten aus. Nicht so der Staat. Damit wird die Defizit-Ziffer wieder einmal geschönt: zahle keine Rechnungen, dann bleibst Du im Budget. Der Preis für die geschönte Zahl ist allerdings hoch: Unternehmen ohne Einnahmen müssen ihre Angestellten entlassen, Standorte schließen und viele bereits Konkurs anmelden.

Kommentar:
Das BIP dient als Bezugsgröße für die Angabe der Staatsverschuldung. Die Staatsschulden müssen von den künftigen Steuerzahlern bedient werden. Wenn ein Land in sein BIP große Beiträge aus der (geschätzten?) Schattenwirtschaft und aus illegalen Geschäften mit einrechnet, täuscht es sich selbst und andere über seine Schuldentragfähigkeit. Die hier erwähnten „Wirtschafts“ – Bereiche leisten bekanntlich keinen Beitrag zum Steueraufkommen. Wir lernen aus diesen Vorgängen einmal mehr, dass in dem lockeren Spruch „… Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast …“ doch deutlich mehr Wahrheit steckt als uns lieb wäre.

Für unsere Allokationsentscheidungen bedeutet dies, dass wir in der plötzlichen Verbesserung der prozentualen Schulden-Angaben keinen echten Fortschritt sehen dürfen. An den tatsächlichen Staatsschulden hat sich dadurch nichts verändert – außer der Wahrscheinlichkeit, dass die gewonnenen Spielräume sehr schnell in Anspruch genommen und mit noch mehr Schulden aufgefüllt werden.

Mehr Informationen:

Guten Morgen, wir sind reicher! – Handelsblatt 14.08.2014

Italiens Schuldenberg schrumpft über Nacht – FAZ 22.09.2014

Insolvenz-Verschleppung: Italiens Regierung zahlt ihre Rechnungen nicht – Deutsche Wirtschaftsnachrichten 29.07.14

Walter Feil