Shenmu, eine Kleinstadt im Kohlerevier der chinesischen Provinz Shaanxi, steht vor dem Ruin. China-Kenner und Handelsblatt-Korrespondent Finn Mayer-Kuckuk berichtet in seinem Beitrag vom 10.4. vom Aufstieg und Zusammenbruch des grauen Kapitalmarktes am Beispiel der 400.000 Einwohner zählenden Kohlestadt Shenmu, in der sich im Boom innerhalb weniger Jahre 23 Banken und Investmentgesellschaften niederließen.
Betrachten wir die Entwicklung der Reihe nach. Der Boom begann, als die Regierung die Kohleverbrennung, in der Hauptstadt Peking einschränkte, um die extreme Luftverschmutzung etwas einzudämmen. Dies förderte die Geschäfte der Bergwerkreviere in der über tausend Kilometer entfernten Kohleprovinz Shaanxi.
Anleger begannen schnell, auf den Wertzuwachs von Kohleminen zu spekulieren. Sie kauften und verkauften mittelgroße örtliche Minenbetreiber wie andere Leute Immobilien. Dabei interessierte weniger der Ertrag aus der Kohleförderung, mehr jedoch der schnelle Wertzuwachs in der Erwartung, dass andere Anleger künftig einen noch höheren Preis bezahlen würden. Häufig wurden die Kohleminen stillgelegt, weil der Weiterverkauf profitabler erschien als die Kohleförderung selbst.
Billiges Geld stand aufgrund der Konjunkturförderung zur Zeit der Finanzkrise ab 2009 reichlich zur Verfügung. Viele entdeckten, wie leicht es war, Geld mit Geldverleihen zu verdienen. Finn Mayer-Kuckuk weist auf einen Bericht in der Pekinger Jugendzeitung hin, gemäß der in Shenmu bald 98 von 100 Familien mit Geldgeschäften befasst waren. Das System der „Schattenbanken“ boomte.
Gleichzeitig erlebten die „Vermögensverwaltungsprodukte“ einen Hype. Banken legten Anlageprodukte auf, die sehr an den hierzulande bekannten „Grauen Kapitalmarkt“ erinnern. Das über diese Vermögensverwaltungsprodukte eingesammelte Geld floss sehr häufig in Investitionen, der wirtschaftliche Tragfähigkeit eher zweifelhaft war. Als die Zentralregierung 2012 darauf aufmerksam wurde, dass ihr Konjunkturgeld teilweise in hochspekulative Anlageprodukte floss, verknappte die Zentralbank die Geldversorgung. Die Aufsichtsbehörden begannen, das Verhalten der Banken genauer zu prüfen. Der Trend kippte.
Städte wie Shenmu, in denen diese Exzesse besonders ausgeprägt auftraten, stehen damit vor dem Ruin. Die Zentralregierung wird entscheiden, welchen Banken sie Unterstützung gewährt – und welche Banken fallen gelassen werden. Wir werden noch zahlreiche und immer häufigere Meldungen erhalten, dass „Schattenbanken“ in Insolvenz gehen, chinesische Anleger ihr Geld verlieren und Hilfe von der Zentralregierung nötig ist.
Wir sollten uns dadurch nicht zu sehr beunruhigen lassen. Das chinesische Bankensystem als Ganzes ist dadurch nicht bedroht. Der Verzicht auf die langjährige Tradition, immer und in jedem Fall zu helfen, wird zu einer Bereinigung des Marktes führen und damit das Bankensystem Chinas transparenter und gesünder machen. Bei über 1,3 Millionen Einwohnern und entsprechend vielen „Schattenbanken“ und insolvenzreifen „Wealthmanagement“-Produkten wird es jeden Tag Meldungen über ein neues Problem geben. Über die Tausende von Banken, die davon nicht oder nur in geringem Maße betroffen sind, werden wir jedoch wenig lesen.
Ich freue mich auf meine zweite Reise nach China vom 25.5. bis 2.6., die mir die Gelegenheit bieten wird, in einer Gruppe von mittelständischen Unternehmern und mit den China-Spezialisten der Handelsblatt-Redaktion Erfahrungen und Meinungen über die Geschäftsmöglichkeiten in China und die aktuellen Entwicklungen im Finanzsystem auszutauschen. Dies wird sicherlich die Einblicke in die aktuellen Entwicklungen in China vertiefen … ich werde nach meiner Rückkehr darüber berichten.
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