Der Anstieg der Inflation, mögliche Zinserhöhungen und Reduzierung der Anleihe-Ankäufe durch die Notenbanken beherrscht weiterhin die Diskussionen. Jerome Powell, Chef des Notenbankensystems der USA, ist erkennbar bemüht, die Märkte ganz, ganz sanft auf mögliche Zinserhöhungen und eine Reduzierung der Anleihekäufe vorzubereiten. Ja niemanden erschrecken! Der schnelle Einbruch der Wirtschaft nach den Zinserhöhungen der Fed im Jahr 2013 sitzt allen Akteuren noch in den Knochen. Seinerzeit wurden die Investoren von den Zinserhöhungen überrascht.

Die Fed steuert die Erwartungen sehr vorsichtig

Nach der letzten Sitzung der 18 Notenbank-Repräsentanten erläuterte Jerome Powell als deren Vorsitzender, die Mitglieder des Gremiums hätten „bisher nur darüber diskutiert, ob sie über eine Minderung des Kaufprogramms diskutieren sollten“. Und er fügte hinzu, dass sie „die Öffentlichkeit und die Finanzmärkte frühzeitig davon in Kenntnis setzen“, bevor sich eine solche Änderung der Stützungsoperation „auch nur andeute“. Wir erkennen, dass die Fed aus den Ereignissen 2013 gelernt hat und auf jeden Fall vermeiden will, Überraschungen zu verursachen.

Die Fed sieht den Inflationsanstieg als vorübergehende Entwicklung

Viele Marktteilnehmer sind besorgt über den derzeitigen Anstieg der Inflation. Tatsächlich unterstreicht die Statistik, dass zahlreiche Waren jetzt deutlich teurer sind als vor einem Jahr. Stichworte hierzu sind:

  • Gebrauchtwagen in den USA
  • Bauholz
  • Energie
  • Löhne für Mitarbeiter im Service

und zahlreiche Beispiele mehr.

Für jede dieser Preissteigerungen gibt es Gründe, die durchaus den Schluss zulassen, dass es sich um vorübergehende Entwicklungen handelt.

  • Die Gebrauchtwagen werden extrem nachgefragt, weil das Angebot an Neuwagen knapp ist. Weltweit stockt die Autoproduktion, weil Chips fehlen. Volkswagen (nur als ein Beispiel von vielen) gibt an, sie könnten wegen dem Chipmangel bis zu 800.000 Autos nicht bauen und ausliefern. Die Kaufinteressenten weichen natürlich auf  Gebrauchte aus, was die Nachfrage in diesem Bereich erhöht und die Preise nach oben treibt.
  • Bauholz ist knapp. Hunderttausende von Menschen, die nicht zur Arbeit gehen dürfen, gleichzeitig aber gutes Einkommen durch die staatliche Unterstützung erhalten, nutzen die Zeit für andere sinnvolle Dinge – z.B. zum Hausbau. In den USA wird sehr viel Holz zum Hausbau verwendet. Die Nachfrage steigt. Gleichzeit wurde das Angebot reduziert, weil riesige Waldflächen abgebrannt sind und China seine Importe massiv erhöht hat.
  • Energiepreis kehren wieder auf Vorkrisenniveau zurück. Das treibt die statistische Inflationsrate nach oben.
  • Mitarbeiter, vor allem in den unteren Lohngruppen, sind gesucht. Hunderttausende von US-Bürgern erhalten – allerdings nur noch kurze Zeit – mehr Unterstützung wegen der corona-bedingten Arbeitslosigkeit als sie bei Wiederaufnahme einer Beschäftigung verdienen würden.

Der starke Anstieg der Kerninflation ist nur vorübergehend

Capital Economics (CE), der unabhängige Wirtschaftsdienst mit weltweitem Research, veröffentlicht in seinem „Inflation Watch“ vom 21. Juni 2021 eine Grafik, die die Entwicklung der Kerninflation seit 2014 zeigt. Als „Kerninflation“ bezeichnen wir die Preissteigerung ohne Lebensmittel und Energie.

Grafik: Capital Economics

Diese Darstellung vermittelt eine gute Übersicht zur Preisentwicklung, da sie die Inflationsrate über einen längeren Zeitraum darstellt und nicht nur die Veränderung mit Bezug auf den vorangegangenen Monat oder den Vergleichsmonat des Vorjahres. So wird deutlich, dass wir gegenwärtig eine Abweichung von der längerfristigen Inflationsentwicklung nach oben erleben, vorher jedoch eine fast ebenso starke Abweichung nach unten. Dies erinnert an ein Pendel, das nach einem Anstoß (Ausbruch der Pandemie) zunächst auf eine Seite ausschlägt, dann auf die andere Seite schwingt und in der Folge langsam auspendelt.

Betrachten wir die Wirtschaftsregionen etwas genauer, inklusive dem Ausblick bis Ende 2023:

  • USA (dunkelblaue Linie): Sehr auffällig der starke Rückgang der Inflation in 2020, dann der extrem starke Anstieg in 2021. CE erwartet jedoch, dass die Inflationsrate bereits in 2022 wieder zurückgeht und sich dann bis 2024 bei etwa 2,5 % einpendelt.
  • UK (schwarze Linie): hier ist der Preisanstieg in 2021 nicht so stark. Der vorausgegangene Rückgang der Inflation war auch nicht so stark wie in den USA. Ende 2023 könnte die Inflation auch hier bei 2,5 % liegen.
  • Eurozone (hellblaue Linie): relativ geringe Veränderungen in 2021, Ende 2023 dann bei 1,0 %, somit auf gleicher Höhe wie 2014.
  • Japan (graue Linie): Inflation in 2021 teilweise noch unter 0 %, bis Ende 2023 bei 0,5 %.

Kurzfristiger Zins bleibt auf aktuellem Niveau

Diese Übersicht verdeutlicht, warum die Fed (und auch die EZB) keinen Grund sehen, die Leitzinsen zu erhöhen. Die Wirtschaft wächst, aber sie läuft nicht heiß. Eine Erhöhung des kurzfristigen Zinses in den USA wird gemäß aktuellen Einschätzungen erst im Jahr 2023 erfolgen, und dann auch nur mit zwei kleinen Schritten von je 0,25 % auf eine Zielgröße von 0,6 %.

Auch die langfristigen Zinsen bleiben moderat

Der Börseninformationsdienst „Bernecker-Daily“ schrieb am 28.6., dass „die Fed versucht, die Rendite der T-Bonds bei rd. 1,5 % zu stabilisieren“. Dafür brauche sie nur wenig Kapital. Sie gleiche damit die Spitzen des täglichen Geschäftes aus.

Diese Einschätzung ist ein weiterer Kommentar, der darauf hindeutet, dass auch der langfristige Zinssatz (hier: T-Bonds der US-Regierung) derzeit immer noch nicht der freien Preisbildung am Kapitalmarkt unterliegt, sondern durch Marktinterventionen der Notenbank beeinflusst wird. Damit wird sowohl der kurzfristige Zins (direkt) von der Fed festgelegt, darüber hinaus jedoch auch (indirekt) der langfristige Zins.

Wirtschaftswachstum pendelt sich wieder ein

Für das globale Wirtschaftswachstum gilt ähnliches wie für die Inflationsraten: in 2020 hatten wir zwei Quartale, in denen das Wachstum stark negativ war. Darauf folgte ein Quartal mit weit überdurchschnittlichem Wachstum. Die Wirtschaftsleistung kehrte wieder auf das Niveau vor Ausbruch der Pandemie zurück, zuerst in China, dann auch in den Industrieländern. Einige Länder der Emerging Markets liegen noch zurück.

In 2022 wird das Wachstum der weltweiten Wirtschaftsleistung wieder auf etwa gleichem Niveau liegen wie in den Jahren vor Ausbruch der Pandemie.

 

Aktienkurse im zweiten Halbjahr mit Verschnaufpause

Die Aktienkurse haben im ersten Halbjahr 2021 deutlich über dem langfristigen Trend zugelegt.

Grafik: infront

In nur sechs Monaten stiegen die Bewertungen (hier dargestellt in Euro, inklusive Dividenden, anhand von ETFs auf die jeweiligen Indizes) um 11 bis 20 %.

  • + 17 % der Weltindex (dicke braune Linie)
  • + 15 % der EURO STOXX (oliv)
  • + 11 % der EM IMI (dunkelgrün) (alle investierbaren Märkte in den Emerging Markets)
  • + 20 % der EM SmallCap-Index (dunkles rot) (die kleineren Unternehmen in den Emerging Marktes)

Dieser Anstieg der Aktienkurse wird sich im zweiten Halbjahr 2021 nicht mit gleicher Geschwindigkeit fortsetzen. Die Märkte brauchen nach dieser Aufholrally eine Verschnaufpause. Dies sieht auch Capital Economics gemäß seiner per 26.6.2021 veröffentlichen Prognose so. Per Jahresende 2021 erwartet CE die Kurse auf etwa gleichem Niveau wie derzeit. In der Prognose von CE sind allerdings die Dividenden, die dem Anleger genauso werterhöhend zugute kommen wie die Kurssteigerung, nicht berücksichtigt. Rechnen wir Kursentwicklung und Dividenden zusammen, ergibt sich als Prognose eine tendenziell leicht positive Entwicklung bis zum Jahresende 2021.

Ausblick auch für 2022 positiv

Für das Jahr 2022 erwartet CE wieder eine Beschleunigung des Kursanstiegs in den Aktienmärkten. Wir können somit festhalten:

  1. Im ersten Halbjahr 2021 haben sich die Aktienmärkte sehr positiv entwickelt. Alle Anleger, die ihre Aktieninvestments unbeeindruckt von den täglich wiederkehrenden Warnungen aller professionellen Crashpropheten mit Gelassenheit fortgesetzt haben, wurden reich belohnt.
  2. Für das zweite Halbjahr 2021 erwarten wir weiterhin eine positive, jedoch nicht mehr so rasante Kurssteigerung in den Aktienmärkten.
  3. In 2022 erwarten wir erneut eine Beschleunigung des Kursanstiegs.

Da wir nicht genau vorhersehen können, wann sich die kurzfristigen Bewegungen in den Aktienmärkten ergeben, bleiben wir als Langfristinvestoren mit Blick auf die tendenziell weiterhin positive Wertentwicklung investiert.

Walter Feil