Börsen auf dem Weg zu neuen Hochs

Im Ausblick für den Monat Mai schrieb ich:  „Dieser Kursanstieg des MSCI World … steht in krassem Gegensatz zu allem, was wir rings um uns herum wahrnehmen. … Die Produktion von Industriegütern ist weitgehend stillgelegt. Alleine in Deutschland waren per 26.4. über 10 Millionen Arbeitnehmer in Kurzarbeit

Dreißig Tage später hat sich das Leben deutlich verändert. Burg Windeck, auf der wir unsere „Seminare auf der Burg 2020“ wegen des Lockdowns Ende April nicht durchführen konnten, hat wieder geöffnet. Gäste sitzen (am Tisch ohne Maske) auf der Aussichtsterrasse und genießen die exzellente Küche und den Blick über das Rheintal. Das Stadtbild ist wieder lebendig. Die Tische der Straßencafés und Eisdielen sind belegt. Zu Arbeitsbeginn und -ende stauen sich die Autos wieder vor den Ampeln.

An den Börsen setzten die Aktien ihren Kursanstieg fort. Ende Mai steht der Weltindex nur noch sieben Prozentpunkte unter Jahresbeginn.

Quelle: vwd

Das will nicht so recht zu dem Bild passen, das wir nach Lektüre der Headlines in unseren Medien gewinnen. Im Grundsatz läuft das Spiel wie seit Urzeiten: wir Menschen reagieren schneller und intensiver, wenn wir eine „Gefahr“ wahrnehmen. Früher, ganz früher, war dieser Fokus auf „Gefahren wahrnehmen“ sicher hilfreich: wer am Lagerfeuer sitzend den anschleichenden Säbelzahntiger zu spät bemerkte …

Auch heute gilt immer noch: „Bad news are good news“, weil sie schneller und intensiver wahrgenommen werden als „good news“. Darauf setzen unsere Medien. Und wir kaufen Tag für Tag die Auflage und konsumieren die (Negativ-) Auswahl von Nachrichten und die bedenkentragenden Kommentare. Wenn ich alles zusammenzähle, was mir die Headlines der letzten Wochen aufgetischt haben, müsste die Welt schon längst in Schutt und Asche liegen.

Zweifellos gibt es Tausende von  Beispielen, wo durch „Corona“ (genauer: durch die Entscheidungen, die von Menschen getroffen wurden, um die Ausbreitung des Covid-19-Virus einzudämmen) Existenzen zerstört, Vermögen vernichtet und Unternehmen in die Insolvenz getrieben wurden. Das ist für die Betroffenen eine Katastrophe und nicht wegzudiskutieren.

Gleichzeitig wurden viele Milliarden große Budgets für Unterstützungsleistungen bereitgestellt. Diese gigantischen Budgets werden dazu beitragen, dass die Wirtschaft in Deutschland, in ganz Europa, in den USA und in weiteren Ländern sehr schnell wiederbelebt werden kann, sobald die Beschränkungen soweit aufgehoben werden, dass ein einigermaßen normales Wirtschaftsleben wieder möglich wird. Beispiele hierzu sind:

  • In Deutschland wurde das Kurzarbeitergeld sehr großzügig verlängert und erhöht.
    Dies trägt dazu bei, dass Unternehmen fast aus dem Stand heraus wieder auf ihre vollständige und qualifizierte Mannschaft zurückgreifen können, sobald sie ihre Tätigkeit wieder aufnehmen dürfen. Die Unternehmen müssen keine neuen Mitarbeiter suchen und keine langwierige Ausbildung organisieren. Sie können sofort wieder mit voller Kraft starten.
  • In den USA erhalten viele Arbeitslose großzügige Unterstützung
    Die Headlines gefielen sich wochenlang in täglich neuen Schreckensmeldungen von 30 und mehr Millionen Arbeitnehmern, die extrem kurzfristig ihren Job und damit ihr Einkommen verloren. Der erste Absatz im Artikel rechnet dann vor, wie dramatisch sich dies auf den Konsum in den USA auswirkt. So langsam sickert der zweite Teil der US-Wirklichkeit in die Nachrichten ein: Ein großer Teil der Bürger, die ihren Job verloren, erhalten eine zusätzliche Leistung von 600 USD wöchentlich und stellen sich damit als „Arbeitsloser“ besser als vorher.
  • Die Autobauer in Deutschland sind auf dem besten Weg, eine zweite Unterstützung zu erhalten
    Die erste Unterstützung ist die vorstehend schon erwähnte Regelung zum Bezug von Kurzarbeitergeld. Jetzt könnte eine zweite Unterstützung dazukommen in Form einer Kaufprämie.

Kehren wir zurück zu unserem Haupt-Thema: Wie wirkt sich das auf die Börsen aus? Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Aktienkurse der drei großen Autobauer in Deutschland und eines ETF, der den Index für „Autos und Parts“ abbildet. Diese Positionen fielen ab dem 20.2. extrem schnell und stark. Jetzt sind es die Positionen, die überdurchschnittlich schnell wieder steigen.

  • rot, blau und schwarz: die drei Autobauer
  • grün: ETF für „Autos und Parts“
  • braun: Weltaktienindex zum Vergleich

 

Die großen Investoren in den Aktienmärkten erkennen offenbar die Entwicklung und die neuen Chancen, die sich ergeben, sobald der von Menschen herbeigeführte Lockdown wieder aufgehoben wird. Sie investieren bereits wieder verstärkt in die Unternehmen. Das sieht definitiv nicht nach einem Zusammenbruch aus.

Wie geht es weiter?

Eigentlich sollte ich hier fast wortgleich meine Stellungnahme vom 1. Mai wiederholen. Vielleicht rufen Sie diese Prognose einfach nochmal auf.

Einen Monat später hat sich die positive Entwicklung bestätigt. Auch die Sorge vor einem zweiten Lockdown nimmt ab. In der jüngsten Ausgabe der „Euro am Sonntag“ kommen fünf der erfahrensten Vermögensverwalter Deutschlands zu Wort. Sie schätzen die künftige Marktentwicklung nicht alle genau gleich ein. Jedoch erwartet keiner der „fünf Großen“ einen Zusammenbruch der Wirtschaft. Einig sind sie sich über eine positive Entwicklung über das Jahresende 2020 hinaus.

  • Hendrik Leber ist beunruhigt, dass die Unsicherheit nicht viel stärker auf die Kurse drückt und rechnet mit einem weiteren Rückgang im dritten Quartal. Er sieht die Weltwirtschaft jedoch nicht in der Krankenstation wie in der Finanzkrise 2008 und erwartet eine „recht normale“ Entwicklung in 2021.
  • Jens Ehrhardt weist auf die massive Unterstützung der Notenbanken hin und greift die alte Börsenweisheit auf: „Don’t fight the Fed“. Das bedeutet: Wenn die Fed massive Unterstützung leistet, hat dies bisher stets sehr positive Auswirkungen auf die Börsenkurse gehabt. Die Anleger sollten sich nicht dagegenlehnen.
  • Michael Reuss ergänzt mit den Hinweisen, dass auch die Politik mit gigantischen Mitteln als Retter agiert. Lufthansa, Boeing und andere: „Die Politik rettet alle“.
  • Philipp Vorndran betont, dass auch die Banken mit massiver Unterstützung rechnen können, „whatever it takes“. Vorndran macht sich keine Sorgen bezüglich der Bankkonten, weist jedoch auf die stetige Entwertung von „Geld“ hin.
  • Frank Fischer empfiehlt die Investition in „extrem ausgebombte Value-Titel“ und erwartet mit Blick auf 2021 und 2022 damit sehr gute Gewinne, wenn auch unter Inkaufnahme von starken Schwankungen.

Diese fünf sind ganz sicher nicht die unerfahrensten Vermögensverwalter in Deutschland. Aus keinem ihrer Kommentare konnte ich herauslesen, dass sie für die kommenden zwei Jahre einen Zusammenbruch der Weltwirtschaft oder per Saldo fallende Kurse erwarten. Schwankungen wird es jedoch weiterhin geben.

So lerne ich einmal mehr: Langfristig werden wir neue Höchstkurse an den Börsen erleben. Mit dem Rückenwind der gigantischen Unterstützungsprogramme der Notenbanken (zusätzliche Liquidität für die Kapitalmärkte) und der Regierungen (alle bisherigen Erfahrungen übersteigende Füllhörner der Fiskalpolitik) könnten neue Höchstkurse schon in 2021 folgen. Als Störfaktor würde sich allerdings eine erneute starke Ausbreitung des Virus erweisen, was dann zu Entscheidungen führen könnte, die eine gerade wieder erwachende Wirtschaft wieder abwürgen. Wenn wir es schaffen, eine zweite Pandemiewelle zu vermeiden, wird sich die Wirtschaft nun schnell wieder beleben und damit die Börsen weiter zulegen.

 

Walter Feil