Ende Oktober sah die (Börsen-) Welt noch trübe aus. Am 30.10. schrieb ich im Ausblick für den November: Die Entwicklung der Börsen in den letzten Oktober-Tage haben vermutlich zahlreiche Aktien-Anleger sehr beunruhigt. Dies ist verständlich, wenn das beherrschende Thema in allen Nachrichtensendungen, Zeitungen und Onlinediensten nur noch Schreckensmeldungen über steigende Infektionszahlen, neue Lockdowns und Rückgang des BIP ist.

Impfstoff weckt Hoffnungen auf Erholung der Wirtschaft

Anfang November kamen dann immer mehr Nachrichten über Fortschritte bei der Impfstoff-Entwicklung. Wir beobachteten einmal mehr, dass an den Börsen die Erwartungen gehandelt werden: alle Börsen stiegen stark an. Der Dax (als Beispiel) legte in weniger als zehn Tagen um über 10 Prozent zu. Damit wurden alle Anleger belohnt, die ihre Investments in Aktienfonds und ETFs – wie im Newsletter vom 31.10. beschrieben – mit Gelassenheit fortgesetzt hatten.

Die Grafik zeigt deutlich den Pessimismus, der die Investoren in der zweiten Oktoberhälfte befallen hatte – und den schnellen Wechsel zum Optimismus, der den Weltaktienindex im November um über zehn Prozent nach oben trieb.

Quelle: vwd

Deutschland verschärft Kontaktbeschränkungen – Inzidenzen gehen nur langsam zurück

In der Covid-19-Krise wurde die 7-Tage-Inzidenz zu einer wichtigen Kennziffer erhoben. Diese Kennziffer nennt die Anzahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einem bestimmten Zeitraum. Die 7-Tage-Inzidenzen geben an, wie viele Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner im Durchschnitt von sieben Tagen festgestellt wurden. In Deutschland stieg dieser Wert im Oktober an und verblieb seither auf annähernd gleichen Niveau. In anderen Ländern Europas stieg der Wert im Oktober deutlich stärker an, sank jedoch nach Einführung neuer Kontaktbeschränkungen auch deutlich stärker als in Deutschland. Die meisten Länder Europas weisen Ende November höhere Inzidenzwerte auf als Deutschland.

Quelle: Wellenreiter

In Deutschland führte diese Entwicklung zum Erlass weiterer Vorschriften, die zum Ziel haben, die Anzahl der Kontakten zwischen Menschen zu reduzieren und damit den Inzidenzwert nach unten zu drücken.

Wirtschaftliche Erholung geht kontinuierlich voran

Die Berichte in den Medien lenken unsere Aufmerksamkeit (wie üblich) fast ausschließlich auf problematische Entwicklungen. Tatsächlich gibt es neben den zweifellos bestehenden und sich teilweise verschärfenden Problemen auch eine Welt, die sich kontinuierlich von dem Lockdown erholt. Der von der Federal Reserve Bank of New York veröffentlichte Weekly Economic Index (WEI) zeigt an, wie sich (als Beispiel) die Wirtschaft in den USA entwickelt.

Quelle: Wellenreiter

Seit dem Tiefpunkt im April steigt dieser Index kontinuierlich an. Interessent zu beobachten, wie die wirtschaftlichen Aktivitäten und der Index für die im S&P 500-Index zusammengefassten 500 größten Aktienwerte der USA parallel nach oben zogen. Die Börsianer handeln Erwartungen! Sie drehten den S&P 500 schon zwei Monate vor dem Tiefpunkt des WEI nach oben.

Mit dem Beginn von Impfungen werden die Erwartungen auf eine Rückkehr zur Normalität weiter steigen, was dann immer mehr Investoren anlocken und zu weiter steigenden Kursen führen wird, und dies nicht nur in den USA, sondern auch in anderen Wirtschaftsregionen.

Verlierer von gestern werden zu Gewinnern von morgen

In der Zeit der Beschränkungen verloren alle Branchen, die davon leben, dass Menschen reisen, zusammenkommen und ohne großen Abstand gemeinsame Erlebnisse genießen. Dies betraf vor allem Reiseunternehmen, die Gastronomie und Veranstaltungen, aber auch Messen und Ausstellungen, um nur einige Beispiele zu nennen. Airlines, Flughäfen, Reisebüros und vielen anderen brach der Umsatz fast vollständig weg. Diese Branchen werden mit der Rücknahme von Beschränkungen eine starke Erholung erleben.

Gewinner der Krise werden nicht mehr so schnell wachsen

Alle Branchen, die ein „online“ umsetzbares Geschäftsmodell hatten, erlebten in der Zeit der Beschränkungen einen Boom. Das schnelle Wachstum wird sich nicht so rasant fortsetzen, wenn die Menschen wieder zur früheren „Normalität“ zurückkehren können. Jedoch erwarte ich, dass die Umsätze dieser Unternehmen nicht sehr stark zurückgehen werden. Nachdem wir uns (als Beispiel) daran gewöhnt haben, von zuhause aus zu arbeiten, indem wir Online-Systeme nutzen, werden wir diese Systeme nicht wieder außer Betrieb nehmen. Jedoch wird sich das Wachstum der Corona-Gewinner nicht mehr so schnell fortsetzen wie mitten in der Not, die durch die Beschränkungen verursacht wurde. Dies birgt das Risiko, dass Investoren, die mit ihren Erwartungen auf weiterhin sehr starkes Wachstum gesetzt haben, enttäuscht werden und verkaufen, was dann zu zurückgehenden Kursen führen würde.

Asiatischer Wirtschaftsraum gewinnt an Bedeutung

Im Lärm der täglichen Berichterstattung über Covid-19, Inzidenzen und immer wieder neue Beschränkungen untergegangen sind die Berichte über ein Ereignis, das die langfristige Entwicklung der Weltwirtschaft stärker beeinflussen wird als die Frage, ob der neue US-Präsident Trump oder Biden heißt. In Asien schlossen sich fünfzehn Staaten unter wirtschaftlicher Führung von China zu einer Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) zusammen. Dies wird das Wachstum dieser Region nicht von heute auf morgen beeinflussen, arbeiten diese Staaten doch schon über viele Jahre sehr eng zusammen. Das RCEP – Abkommen wird jedoch langfristig dazu führen, dass dieser Wirtschaftsraum immer mehr Standards setzt. Vor allem in einer digital vernetzten Welt führt dies zu einem enormen Zuwachs an Einfluss und Macht: Wer die Standards setzt, hat die Macht.

Lesen Sie dazu den Beitrag vom 25.11. „Asien auf dem Weg zur führenden Wirtschaftsregion“.

Nicht alle Risiken ausblenden

Die Erwartungen, die mit der Freigabe von Impfstoffen verbunden sind, sollten nicht dazu führen, alle Risiken auszublenden und nur noch auf positive Börsenentwicklung zu setzen. Nach wie vor gelten Beschränkungen in fast allen Regionen, die Brexit-Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen, die künftige Politik der USA noch nicht festgelegt, viele Förderprogramme zwar grundsätzlich beschlossen, jedoch noch nicht umgesetzt – und bei Tausenden von Unternehmen weiß man heute nicht, ob sie die Wiederinkraftsetzung der vorübergehend ausgesetzten Insolvenzregeln überleben werden.

Gerade der letzte Punkt kann zum Verlust von zehntausenden von Arbeitsplätzen, zu Folge-Insolvenzen in den Lieferketten und zu einer besonderen Belastung von Banken führen. Die EZB steht zwar bereit, mit großzügigen Unterstützungen zu helfen,  ich glaube aber nicht, dass alle Unternehmen, die derzeit unter den derzeit geltenden Sonder-Regeln weiterarbeiten können, in zwei Jahren noch existieren werden.

Fazit: Weiterhin volatile Märkte mit positiver Tendenz

Bis zur Jahresmitte 2021, einige formulieren vorsichtiger mit „bis 2022“, wird die Wirtschaft in den meisten Regionen wieder auf „Vorkrisenniveau“ zurückgekehrt sein. Die DWS (als einer von vielen Prognose-Erstellern) erwartet per 24.11.2020 für 2021 in allen Regionen wieder kräftiges Wachstum:

  • USA plus 4,0 %
  • Eurozone plus 5,5 %
  • China plus 8,2 %
  • Welt plus 5,2 %

Der unabhängige weltweit tätige Resarchdienst „Capital Economics“ sieht die Weltwirtschaft in 2021 ähnlich stark wachsen. Auch Capital Economics erwartet das stärkste Wachstum in Asien:

  • USA plus 5,0 %
  • Eurozone plus 5,0 %
  • UK plus 7,5 %
  • China plus 10 %
  • Indien plus 12 %

Die Weltwirtschaft als Ganzes sieht CE wie folgt:

  1. Das langfristige Wachstum wurde mit Ausbruch der Pandemie scharf unterbrochen und nach unten gefahren.
  2. Die Wachstumsprognose vor der Freigabe von Impfstoffen lag 3,4 % unter dem ursprünglichen Niveau
  3. Mit Bekanntgabe der alsbaldigen Verfügbarkeit von Impfstoffen wurde die Prognose auf nur noch 2,1 % unter dem ursprünglichen Niveau angehoben.

Soweit die Prognosen von prominenten Marktteilnehmer zum künftigen Wachstum der Weltwirtschaft. Die Entwicklung der Börsenkurse hängt jedoch nicht alleine vom Wirtschaftswachstum ab, sondern in hohem Maße auch von den Stimmungen der Investoren und von der im Markt verfügbaren Liquidität.

  • Die Stimmungen der Investoren können von Stunde zu Stunde wechseln. Die daraus resultierenden Schwankungen sollten wir mit Gelassenheit hinnehmen.
  • Die im Markt verfügbare Liquidität wird von den Notenbanken extrem hoch gehalten. Vergleichen Sie dazu die Grafik im letzten Ausblick für den Monat November. Dazu addieren sich die Mittel, die die EU-Kommission und zahlreiche Einzelstaaten bereitstellen wollen. Diese werden erst ab 2021 zur Auszahlung kommen und der Wirtschaft einen zusätzlichen Aufschwung verleihen.

Die Aussichten auf die Erholung der Weltwirtschaft und damit auf steigende Börsenkurse sind vor diesem Hintergrund positiv. Damit bleibt mir nur noch die Empfehlung: Bleiben Sie auch in der Erholungsphase der Wirtschaft gelassen, teilen Sie Ihre Investments auf unterschiedliche Assetklassen auf, lassen Sie sich durch den täglichen Dauerbeschuss mit ach so wichtigen „Breaking News“ nicht aus der Ruhe bringen.

Walter Feil
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