Jerome Powell, der Chef der US-Notenbank, hat sich alle Mühe gegeben, die Märkte auf eine Reihe von Zinserhöhungen vorzubereiten. Dies ist ihm auch gelungen. Panikverkäufe blieben aus.
Auch Christine Lagarde, die Chefin der Europäischen Zentralbank, verbreitete mit ihren Erklärungen Zuversicht, dass die unterstützende Geldpolitik in der Eurozone noch eine Weile fortgesetzt würde.
Die Investoren begannen, sich vorsichtig und in kleinen Schritten auf die angekündigten Veränderungen in der Geldpolitik vorzubereiten. Sie verkauften Positionen, die erst in den nächsten Jahren nennenswerte Gewinne erwarten ließen. Stattdessen kauften Sie sogenannten „Value“ – Werte. Unternehmen, die bis vor kurzem noch als die Hoffnungsträger für die Zukunft hoch gehandelt wurden, verloren meist mehr als 50 % ihrer vorigen Börsenbewertung. Solide, „langweilige“ Unternehmen, die seit Jahrzehnten gute Gewinne erwirtschaften und regelmäßig Dividenden zahlen, wurden wieder gefragt.
Die Bewertung des Weltaktienindex ging zwischen dem Jahresendstand 2021 und dem 18.2.2022 um sieben Prozent zurück.
Quelle: infront
Damit reduzierte sich der Wertzuwachs seit Jahresbeginn 2021 bis 18.2.2022 auf nur noch 23 %.
Quelle: infront
Aktienmärkte mögen keine Überraschungen
Dann überraschte Russland die Welt mit einem militärischen Angriff auf die Ukraine. Viele Investoren reagierten hektisch. Der S&P 500 (Index der 500 größten Aktiengesellschaften der USA) verlor Innerhalb von weniger als 24 Stunden 5 % seiner Bewertung.
Auf diesen Kursrückgang folgte eine sehr rasche Umkehr. In weniger als zwei Tagen kehrte der Index wieder auf seine vorige Bewertung zurück. Tatsächlich stand der Index zum Börsenschluss am Freitag, den 25.02., höher als vor Beginn der Invasion.
Das rechte grau unterlegte Feld der folgenden Grafik zeigt den schnellen Bewertungsrückgang des S&P 500 nach dem 21.2. und die darauffolgende schnelle Rückkehr auf den vorigen Stand.
Grafik: S&P 500 Index 21.2.2022 bis Börsenschluss Freitag 25.02.2022
Quelle: CMC Markets
Der Weltaktienindex, der neben einem Anteil von etwa 65 % US-Aktien auch noch die Aktien von 22 weiteren Industriestaaten abbildet, zeigte auf Basis der Tagesschlusskurse ein ähnliches Bild, allerdings nur mit einer Bewegung von etwas mehr als 3 %.
Grafik: Weltaktienindex vom 18. bis 25.2.2022, Tagesschlusskurse
Quelle: infront
Um diese schnellen Bewegungen besser zu verstehen, beleuchten wir, was uns diese Kursnotierungen erzählen:
- Es gab einen Auslöser, der zahlreiche Investoren veranlasste, einzelne Aktien oder (z.B. über einen ETF) den gesamten Index, somit alle 500 Aktien des S&P 500 gleichzeitig, zu verkaufen. Parallel dazu sank das Interesse auf der Käuferseite. Abwarten, wie sich die Sache entwickelt, war die Devise. So traf ein großes Verkaufsangebot auf eine geringe Nachfrage. Die Folge: wenn die Verkaufsangebote nicht mit einem Limit versehen sind, wird der Kurs so weit reduziert, bis sie auf ein Kaufangebot mit einem passenden Kurs treffen.
- Die Transaktion wird zu dem Kurs, bei dem Verkaufs- und Kaufangebot übereinstimmen, ausgeführt.
- Dieser Kurs ist (… nur für einige Sekundenbruchteile, bis die nächste Transaktion stattfindet) der neue Kurs der jeweiligen Aktie bzw. des Index. Dieser Kurs wird vollautomatisch in alle Informationssysteme eingespielt.
Sofort kursieren dann Nachrichten, dass sich binnen kurzer Zeit so-und-so-viele Milliarden Börsenbewertung „in Luft aufgelöst“ hätten. Das führt zu einem falschen Bild. Was sich verändert hat, ist jeweils nur der Kurs, zu dem die jeweils letzte Transaktion ausgeführt wurde. Dieser Kurs wird für einige Sekundenbruchteile (bis die nächste Transaktion ausgeführt wird) als der aktuelle Wert für ein Unternehmen bzw. für einen Index betrachtet. Dem wirklich „wahren Wert“ eines Unternehmens kommen wir erst näher, wenn wir versuchen, ein Unternehmen als Ganzes (und nicht nur ein paar Aktien davon) zu verkaufen.
Doch zurück zu den Ereignissen vom 23. und 24. Februar:
Weniger als 24 Stunden nach Beginn des Rückgangs, als sich zahlreiche Investoren eine Meinung darüber gebildet hatten, welche Auswirkungen die Invasion in der Ukraine haben könnte, lag der Kurs des Index wieder auf den vorigen Stand, ja sogar ein bisschen darüber. Diese Entwicklung erzählt uns:
Die erfahrenen Investoren sind offenbar der Auffassung, dass dieses Ereignis (Invasion) die Weltwirtschaft nicht aus dem Tritt bringen wird. Sie fütterten die Börsensysteme mit Kaufaufträgen und erhöhten die Kauflimits bis zu dem Wert, den der Index vor der Invasion hatte. Hunderttausende von Aktien gingen in wenigen Stunden zu gedrückten Kursen von den ängstlichen Anlegern in den Besitz von erfahrenen, langfristig orientierten Anlegern über.
Krieg führt zu mehr Inflation
Die Invasion der russischen Truppen in der Ukraine veranlasste das westliche Bündnis unter Führung der USA, eine ganze Reihe von Sanktionen zu beschließen.
- Russland soll vom internationale Kapitalmarkt abgeschnitten werden
- Vermögenswerte von „Putins Freunden“ sollen eingefroren werden
- Finanztransaktionen sollen erheblich erschwert werden
- Zahlreiche Produkte, insbesondere aus dem Bereich Halbleiter und High-Tech, dürfen nicht mehr nach Russland geliefert werden.
Dies alles wird die Handelsbeziehungen zwischen Russland und der EU belasten. Der wesentliche Punkt dabei ist weniger eine Reduzierung der Exporte von der EU nach Russland, sondern vielmehr die Importe von Öl und Gas aus Russland in die EU. Die Investmentstrategen in den großen Banken gehen davon aus, dass diese Importe in die EU reduziert, aber nicht gänzlich eingestellt werden. Die Folge: Der Preis, vor allem der Preis für Gas, wird steigen.
Bereits vor der Invasion stieg der Preis von Energie stark an und trieb damit die Inflation im Vergleich zum Vorjahr nach oben. Bisher wurde jedoch erwartet, dass dieser Preisauftrieb alsbald ein Ende finden und damit die Jahr-zu-Jahr-Inflationsrate wieder deutlich zurückkommen würde. Jetzt sind sich die Investment-Analysten nicht mehr so sicher, ob die bisher prognostizierten Rückgänge der Inflationsrate in dem Umfang wie erwartet eintreten werden.
Höhere Inflation setzt die Notenbanken unter Druck
Das klassische Verfahren, die Preissteigerung zu bremsen, ist eine Erhöhung des Zinsniveaus. Höhere Kosten für Finanzierungen bremsen die Investitionen der Unternehmen und die Nachfrage der Verbraucher. Damit soll Angebot und Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen wieder in ein Gleichgewicht gebracht werden, was den Preisanstieg bremsen würde.
Höhere Zinsen führen jedoch auch zu einer Bremsung des Wirtschaftswachstums. Die Notenbanken haben somit eine sehr schwierige Aufgabe zu lösen. Sie müssen die inflationäre Entwicklung bremsen, dürfen mit ihren Maßnahmen jedoch die Wirtschaft nicht zu sehr belasten.
Kurzfristige Inflation hoch – mittelfristig deutlich niedriger
Einen klaren Hinweis über die Einschätzung der Investoren ergibt sich aus der Entwicklung der „Inflation Swap Rates“. Ein Inflation Swap ist eine Transaktion, mit der eine Partei das Inflationsrisiko im Austausch für eine feste Zahlung an eine Gegenpartei überträgt. Die Preisentwicklung eines Inflation Swap zeigt damit ganz genau an, wie die Investoren am Markt das Risiko einer Inflation einschätzen. Der Preis eines Inflation Swap dokumentiert die Erwartungen der Marktteilnehmer. Es ist ein Vertrag, für den echtes Geld bezahlt wird. Damit gibt ein Inflation Swap eine sehr viel verlässlichere Auskunft über die Erwartungen der großen Investoren als jede Prognose, die wir in einer Stellungnahme oder Prognose eines Analysten, einer Bank oder eines Journalisten lesen könnten.
Capital Economics veröffentlichte am 25.2. die neuesten Zahlen über die Entwicklung dieser Inflation Swaps. Achten Sie besonders auf die Unterschiede zwischen den bezahlten Preisen zur Absicherung des Inflationsrisikos über ein Jahr und über fünf Jahre.
Seit Anfang 2020 sind die Erwartungen für den Anstieg der Inflation über ein Jahr deutlich angestiegen.
Quelle: Capital Economics
In den USA haben sich die Inflationserwartungen für die nächsten fünf Jahre nur geringfügig erhöht. In der Eurozone liegen die Erwartungen heute höher als 2019, jedoch immer noch unter 2 %.
Teure Energie schwächt die Leistungsfähigkeit der Energie-intensiven Industrie
Die EU, insbesondere Deutschland, hat in den letzten Monaten Entscheidungen getroffen, die die Leistungsfähigkeit der Unternehmen im Land deutlich schwächen könnten. Das Abschalten von Atomkraftwerken (die letzten drei sollen zum Jahresende 2022 ihren Betrieb einstellen) und der Ausstieg aus der Nutzung von Kohlekraftwerken reduzieren die Energieproduktion. Gleichzeitig sollen Monat für Monat mehr Fahrzeuge mit Strom betrieben werden. Ganz allgemein gilt: auch die Wirtschaft soll wieder auf ein Niveau „vor Corona“ zurückkehren und Jahr für Jahr weiter wachsen. Ein überzeugendes und glaubwürdiges Konzept, wie die Lücken in der Energieerzeugung kurzfristig geschlossen werden könnten, kann ich bis heute nicht wahrnehmen.
Immer häufiger lesen wir von der Notwendigkeit, als Vorsorge für eine Dunkelflaute (wenig bis keine Sonneneinstrahlung und gleichzeitig wenig Wind) zahlreiche Gaskraftwerke bereitzustellen. Der Betrieb dieser Gaskraftwerke würde zusätzliche Lieferungen von Gas erfordern.
Wenn nun die bisher eingeplanten Gaslieferungen aus Russland reduziert oder eingestellt würden, würde dies zu einem Mangel an Energie und damit zu einem starken Preisanstieg, zu Produktionsrückgängen und zu Gewinnreduzierungen führen. Diese Entwicklung würde die Bewertung der davon betroffenen Unternehmen drücken.
Aktienmärkte werden volatil bleiben
Der Ukraine-Konflikt scheint per 25.02. an den Börsen bereits abgehakt zu sein. Die wirtschaftlichen Folgen, die sich aus den beschlossenen Sanktionen ergeben, werden jedoch weiterhin zu überdurchschnittlichen Wertschwankungen an den Börsen führen. Die Entscheidungen der großen Notenbanken, wie groß die geplanten Zinserhöhungen sein sollen und in welchem Umfang den Märkten Liquidität entzogen werden soll, sind unter den neuen Rahmenbedingungen nicht mehr so klar vorhersehbar wie vor der Invasion und den damit ausgelösten Sanktionsentscheidungen.
Die ersten Stimmen werden laut, dass die Notenbanken vermutlich weniger bremsen könnten als die letzten Wochen erwartet. Niedrigere Zinsen und mehr Liquidität im Markt als erwartet führen tendenziell zu steigenden Aktienkursen.
Eurozone mit größeren Risiken belastet
Der vorher schon zitierte unabhängige Informationsdienst „Capital Economics“ weist in seiner Stellungnahme vom 25.2. auf die besonderen Risiken hin, denen die Eurozone ausgesetzt ist:
„… Viertens sind die Risiken für die Märkte der Eurozone ein wenig anders als für die Märkte in anderen Ländern. Die Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum werden in der Eurozone wahrscheinlich größer sein als in den meisten anderen Ländern, vor allem, wenn strengere Sanktionen, die auf Russlands Energieexporte abzielen, in Kraft treten. Auch der Inflationsschub könnte stärker ausfallen. Aber die langfristigen Inflationsentwicklungen sind in der Eurozone viel besser unter Kontrolle als in den meisten anderen entwickelten Ländern. In der Tat sind sie wohl immer noch unter dem Niveau, das mit dem Erreichen des Inflationsziels der Zentralbank vereinbar ist. (siehe Chart 6: 5-Year Forward Inflation Swap Rates.)
All dies bedeutet, dass die EZB in einem Umfeld strengerer Sanktionen ihre Pläne für eine Straffung der Geldpolitik schneller zurücknehmen könnte als andere Zentralbanken, was dazu führt, dass die Renditen der Staatsanleihen in der Region weniger stark steigen als anderswo und der Euro weiter schwächer wird. …“
Breite Streuung glättet die Wertentwicklung des Portfolios
Die jüngsten Ereignisse zeigen einmal mehr, dass eine sehr breite Streuung der Aktieninvestments dazu führt, die Wertentwicklung des Portfolios zu glätten. Es gab in jeder Marktphase Branchen, Länder und Regionen, die unter besonderen Risiken litten und andere, die besondere Chancen erlebten. Nur selten kündigen sich diese besonderen Risiken und Chancen frühzeitig an.
Das aktuelle Beispiel unterstreicht diese Aussage deutlich. Die Invasion russischer Truppen in der Ukraine und die jetzt vermutlich kommenden Sanktionsfolgen hatten wir vor zwei Wochen noch nicht auf dem Radar.
Die Eurozone unterliegt jetzt besonderen Risiken in Zusammenhang mit der Bereitstellung von Energie. Die US-Wirtschaft, insbesondere die Lieferanten von LNG (Liquid Natural Gas = Flüssiggas) und Öl, profitieren davon. Ebenso könnten Unternehmen, die LNG-Terminals bauen und betreiben, einen besonderen Boom erleben, genauso wie die Hersteller von Wind- und Solarkraftwerken und die Leitungsbauer. Vielleicht bringen wir es in Deutschland ja irgendwann mal hin, dass die Energie von den Windrädern im Norden zu den Industrie-Verbrauchern im Süden fließen kann.
Die Prognosen für die Weltwirtschaft sind weiter positiv
Auch wenn wir in Deutschland derzeit mehr besorgt als begeistert sind, bleiben die Prognosen für die Entwicklung der Weltwirtschaft weiterhin positiv. Hier wären die gleichen Erläuterungen zu wiederholen wie bisher:
- Zusätzliches Geld, das die Konsumenten während „Covid“ angespart haben
- Nicht befriedigte Nachfrage, die sich aufgestaut hat
- Produktionsstau wegen fehlender Teile
Die Behinderungen des Konsums und die Störungen der Produktion werden sich Schritt für Schritt auflösen. Die wirtschaftlichen Aktivitäten können wieder zunehmen. Deswegen lohnt es sich derzeit ganz besonders, darüber nachzudenken, wie die langfristigen Investments aufgestockt werden könnten. In diesen Wochen gibt es mal wieder einen Discount zum Einstieg.
Hier nochmal die Entwicklung des Weltaktienindex, dargestellt in Euro über einen ETF von iShares, die letzten zehn Jahre.
Grafik: Weltaktienindex zehn Jahre bis zum 25.02.2022
Quelle: infront
In diesen zehn Jahren stiegen die Bewertungen der Aktienmärkte im Vergleich zu den vorausgegangenen Dekaden überdurchschnittlich stark. Dies wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht genauso fortsetzen. Jedoch gibt es viele Gründe für die Erwartung, dass die Bewertungen der Aktienmärkte auch künftig gemäß dem langfristigen Durchschnitt – stets mit immer wiederkehrenden Wertschwankungen – um etwa 6 % zulegen werden.
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