Einer der wesentlichen Angst-Treiber aller Anleger ist derzeit die Entwicklung der Inflation. Dies ist – auf den ersten Blick – auch verständlich. Auf den zweiten Blick zeigt sich, dass die Sorgen der Anleger aktuell nicht begründet sind.
Angst vor Zinserhöhungen wegen steigender Inflation
Die besorgten Anleger argumentieren: Wenn die Inflation steigt, werden die Notenbanken die Zinsen erhöhen. Wenn die Zinsen steigen, fallen die Aktienkurse. Die Gründe hierfür sind:
- Investments in Anleihen sind wieder attraktiver. Traditionelle Anleihe-Investoren werden wieder mehr in ihrem gewohnten Revier investieren und nicht mehr soviel in Aktien. Dies führt zu sinkender Nachfrage nach Aktien.
- Die Bewertung von Aktien wird sinken, weil der Abzinsungsfaktor steigt. Das bedeutet: wenn das Zinsniveau (als Beispiel) bei 1 % liegt, werden die künftig erwarteten Gewinne von Unternehmen mit einem niedrigen Faktor abgezinst. Die Bewertung der künftig erwarteten Gewinne ist damit hoch. Wenn das Zinsniveau (als Beispiel) bei 2 % liegt, ist dieser Abzinsungsfaktor höher. Dies führt dazu, dass die in der Zukunft erwarteten Gewinne von Unternehmen geringer bewertet werden als vorher.
Die Inflations-Statistik 2021 täuscht
Das Beispiel der marktüblichen Inflations-Statistiken zeigt einmal mehr, wie sinnvoll der häufig zitierte Rat ist: „Glaube keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast.“ Dabei ist die übliche Inflations-Statistik gar nicht einmal „gefälscht“. Sie vermittelt nur einen irreführenden Eindruck. Dies folgt aus der Systematik, wie die Zahlen ermittelt werden. Und auch daran, wie unbedacht die falschen Schlussfolgerungen daraus häufig in verkürzter Form zitiert und zu effektheischenden Überschriften komprimiert werden.
Wenn wir heute (als Beispiel) lesen: „2021: Inflation im März plus 2 %!“, dann würde dies im ungekürzten Text heißen: Der Preis des Warenkorbes, der für die Ermittlung der Inflationsrate herangezogen wird, war im März 2021 um 2 % höher als im März 2020.
Um diese Aussage und ihre Bedeutung bewerten zu können, müssen somit mindestens vier Fragen geklärt werden:
- Wie ist der Warenkorb zusammengesetzt, der für die Ermittlung der Inflationsentwicklung herangezogen wird?
- Wie wird die jeweils aktuelle Inflationsrate ermittelt?
- Wie hoch war die Inflationsrate im März 2020?
- War die Inflationsrate im März 2020 von besonderen Entwicklungen beeinflusst?
Basis-Effekte führen zu irreführenden Schlussfolgerungen
Der Warenkorb, der im Zusammenhang mit der Inflation die typischen Ausgaben eines Haushaltes in Deutschland repräsentieren soll, umfasst etwa 650 Waren und Dienstleistungen. Darin enthalten ist ein Anteil der Ausgaben für Wohnen, Wasser, Gas, Brennstoffe und Verkehr von über 45 %. Nun hatten wir im März 2020 eine kurze Zeit, in der der Ölpreis extrem niedrig war. Für einige Stunden gab es sogar das Phänomen, dass der Abnehmer von Öl an einer bestimmten Lieferstelle noch Geld dafür erhielt, dass er überschüssige Liefermengen abnahm. Terminkontrakte liefen aus und Tanklager waren knapp. Wer Öl abnehmen und lagern konnte, erhielt von den Spekulanten, die das Öl abnehmen mussten, jedoch ohne Lagermöglichkeiten dastanden, eine Prämie für die Abnahme.
Hier an dieser Stelle interessiert jedoch hauptsächlich, dass der Ölpreis für eine gewisse Zeitspanne sehr niedrig war. Dieser niedrige Ölpreis hatte auch einen Einfluss auf die Ermittlung der Inflationsrate in den USA für März und April 2020 und führte zu sehr niedrigen Kennziffern. Ein Jahr später, im März 2021, liegt der Ölpreis wieder deutlich höher auf einem Niveau, wie er vor dieser Delle vor einem Jahr schon war.
Die Inflationsrate, die für den März 2021 ermittelt wird, gibt die Veränderung des Preises für den als Berechnungsgrundlage bestimmten Warenkorb zum Vergleichsmonat des Vorjahres an. So führt die Rückkehr des Ölpreises auf das Niveau, das vor der Delle bestand, heute zu einer erhöhten Angabe der Inflationsrate. Dies nennt man „Basis-Effekt“. Die „Basis“ der Berechnung, die Ziffer im Vergleichsmonat im vorigen Jahr, war extrem niedrig.
Längerfristige Betrachtung der Inflation führt zu besserer Einschätzung
Besser informiert sind wir, wenn wir nicht nur eine Momentaufnahme (März 2021 gegenüber März 2020) betrachten, sondern die Entwicklung der Inflationsrate über einen längeren Zeitraum.
Die folgende Grafik aus dem Global Inflation Watch von Capital Economics (CE) vom 19.3.2021 zeigt die Entwicklung Core-CPI-Inflation in den USA und in der Eurozone von 2018 bis aktuell und darüber hinaus die Prognose von CE bis Ende 2022.
Anfang 2018 hatten wir in der Eurozone eine Inflationsrate von 1,0 %. In der zweiten Hälfte des Jahres 2020 ging die Kaufpreissteigerung gemäß der üblichen Berechnungsmethode auf unter 0,5 % zurück. In den USA hatten wir den Rückgang von vorher etwa 2 % auf fast nur noch 1 % schon einige Monate früher, wie oben erwähnt etwa März 2020.
In der Eurozone ist die Inflationsrate zum Jahresende 2020 schon wieder auf leicht über 1 % angestiegen. Die USA (siehe blaue gestrichelte Linie in der Grafik) haben diese Anstieg als Rückkehr zu den etwa 2 % vor dem Rückgang im März 2020 noch vor sich. Die Analysten von CE erwarten ein leichtes Überschießen auf 2,5 % bis zur Jahresmitte 2021, dann wieder eine Rückkehr auf 2 %. In 2022 könnte die Inflationsrate in den USA bei etwa 2,5 % liegen, in der Eurozone bei etwa 1,0 %.
Die Sorge der Investoren, dass die Notenbanken der USA und der Eurozone alsbald gezwungen sein könnten, die Zinsen deutlich anzuheben, scheint vor diesem Hintergrund nicht begründet.
Gleichwohl sollten wir uns darauf einstellen, dass in den kommenden Wochen zahlreiche Überschriften erscheinen, die einen „Anstieg der Inflation in den USA um fast 100 %“ benennen. Wie wir gesehen haben, könnte dies ja sogar richtig sein – immer in Bezug auf den Vergleichsmonat im vorausgegangenen Jahr. Aber dies ist leider nur die Hälfte der ganzen Nachricht – und könnte damit zu falschen Schlussfolgerungen führen.
Prognose 2021: Inflation kann kurzfristig steigen – bleibt langfristig jedoch im bisherigen Rahmen
Die Prognosen von CE zeigen deutlich, dass in fast allen Ländern für das Jahr 2021 ein Anstieg der Inflationsrate zu erwarten ist. Dies ist nach Auffassung von CE jedoch nur ein vorübergehender Effekt. Bereits 2022 werden wieder Inflationsraten erwartet, die teilweise sogar niedriger liegen als in den Jahren 2017 bis 2020. Die Welt-Inflationsrate entwickelte sich wie folgt:
- 2017: 3,0 %
- 2018: 3,1 %
- 2019: 2,8 %
- 2020: 2,5 %
- 2021: 3,1 % (Prognose)
- 2022: 2,4 % (Prognose)
Hier die Zahlen rings um die Welt:
Quelle: Capital Economics
Notenbanken wollen künftig die „durchschnittliche“ Inflation steuern
Sowohl die Notenbank der USA als auch die Notenbank der Eurozone haben schon vor Monaten deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie künftig nicht mehr die gegenwärtige Inflationsrate beachten wollen, sondern vielmehr die „durchschnittliche“ Inflation über einen längeren Zeitraum. Wir haben dies bereits im Oktober 2020 in einem Newsletter kommentiert.
Eine nur vorübergehende Erhöhung der Inflationsrate wird die Notenbanken nicht zu Zinserhöhungen veranlassen. Ich erwarte vielmehr, dass beide Notenbanken noch mehr Anstrengungen unternehmen werden, um die Zinsen auch am langen Ende, also für Anleihen mit 10 und mehr Jahren Laufzeiten, unter Kontrolle zu halten. In einem weiteren Beitrag werden wir die Gründe hierfür beleuchten. Als Hinweis vorab: denken wir an die extrem gestiegenen Schulden sowohl bei den Staaten als auch bei den Unternehmen. Womit wollen die Staaten die Zinsen aufbringen, wenn wir auf ein Zinsniveau wie vor zehn Jahren zurückkehren würden?
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