Diese Woche berichtete die Wirtschaftspresse, dass China erneut eine Bestandsaufnahme aller Kredite der öffentlichen Hand durchführt. Im Fokus stehen vor allem die Kredite an Provinzen, Städte und andere staatliche Organe. Damit will die Regierung eine solide Datengrundlage für die jetzt mit Entschlossenheit begonnenen Maßnahmen, das unkontrollierte Wachstum der Kredite einzudämmen, schaffen.

Gesamtverschuldung in China liegt bei 65 % des BIP

Seit den massiven Investitionsprogrammen 2008 und 2009, mit denen China den Einbruch der Weltwirtschaft nach dem Zusammenbruch der Lehman-Bank deutlich besser als alle anderen großen Volkswirtschaften überstand, ist die Kreditpolitik von Provinzregierungen und Städten immer wieder in den Schlagzeilen aufgetaucht. Seinerzeit wurden hohe Investitionsvolumen über “Local Government Financing Vehicles” (LGFVs) geleitet. Damit wurden diese Kreditvolumen der direkten Kontrolle der Zentralregierung entzogen.

Die Grafik zeigt, wie deutlich sich das Kreditvolumen der Provinzregierungen (“Local Government”) von 2008 auf 2009 erhöht hat. (siehe dunkler Teil der Säulen) Das Kreditvolumen der Zentralregierung, das stets als Beispiel einer geringen Staatsverschuldung zitiert wird, blieb dagegen bis heute bei einem Volumen von etwa 20 %  des Bruttoinlandproduktes. (hellgrauer Teil der Säulen) Um die Gesamtverschuldung Chinas zu beurteilen, müssen auch noch die Kreditvolumen von Staatsbetrieben, für die die Regierung letztlich haftet, (blauer Teil der Säulen) berücksichtigt werden. Daraus ergibt sich ein Gesamt-Kreditvolumen von etwa 65 % des BIP.

Langsameres Wirtschaftswachstum erschwert Schuldenabbau

Die Diskussion über die Möglichkeiten, die Höhe der Staatsschulden (im Verhältnis zum BIP) abzubauen, kennen wir aus der europäischen Landschaft zur Genüge. Die bevorzugte Methode ist hierzulande, die Zinsen auf einem geringen Niveau zu halten und eine Inflation über der Zinsrate zuzulassen. Das Bruttoinlandsprodukt wächst auch ohne echtes Wachstum schon alleine durch die Inflation, und der prozentuale Schuldenstand sinkt damit auch ohne echten Schuldenabbau. China erwartet für die Zukunft ein geringeres Tempo beim Wirtschaftswachstum. Dementsprechend dürfen auch die Schulden nicht mehr so stark ansteigen wie bisher. Vor diesem Hintergrund werden die massiven Maßnahmen der Zentralregierung, die bisher ungezügelte Kreditaufnahme der Provinzregierungen und der Staatsbetriebe einzuschränken, noch besser verständlich.

Hohe Vermögensreserven der Regierung begrenzen das Risiko aus der bestehenden Verschuldung

Die Zentralregierung in China verfügt über hohe Vermögensreserven, mit denen aufkommende (Schulden-) Probleme auch bei den Provinzregierungen und bei Staatsbetrieben gelöst werden können. Zu diesen Reserven zählen unter anderem die Bareinlagen der Zentralregierung in Höhe von 3,4 trn. RMB, was 6,5 % des BIP entspricht, vor allem jedoch die Beteiligungen an den Staatsbetrieben, deren Wert im Jahr 2010 etwa 75 % des BIP entsprach. Damit stehen genügend Reserven zur Verfügung, mit denen hier und da entstehende Probleme aus einem zu hohen Schuldenstand gelöst werden können. Es ist auch klar, dass zahlreiche Darlehen der staatsnahen Schuldner, die bisher aufgrund der impliziten Staatsgarantie häufig sehr leicht neue Darlehen aufnehmen konnten, niemals zurückbezahlt werden. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass die neue Besetzung der Zentralregierung die Begrenzung der bisher häufig unkontrollierten Schuldenaufnahme ganz oben auf der Prioritätenliste stehen hat.

Social Financing außerhalb der Staatsbanken nahm stark zu

Schneller noch als die Staatsschulden wuchs die Darlehensaufnahme der Unternehmen. Hier spielt auch das starke Wachstum des “Social Financing” eine Rolle, wozu auch die Ausleihungen zwischen Unternehmen, die Finanzierung über “Wealth Management Produkte” (mit einer gewissen Ähnlichkeit zu den bei uns bekannten “Geschlossenen Fonds”) und den Ausleihungen über Treuhänder zählen.

Chinas “Social Financing System”: Neben den offiziellen Darlehen von Banken wachsen die Ausleihungen über ein häufig auch als “Schattenbanken” bezeichnetes System von Darlehensgebern außerhalb der reinen Bankenwelt. Dies sind eine Art geschlossene Fonds (Wealth Management Products), Ausleihungen zwischen Unternehmen und Ausleihungen von “Trusts”, die in der Regel von Banken organisiert sind.

 

Über das “Social Financing System” finanzieren sich auch Unternehmen, die wegen ihres gegenüber Staatsbetrieben erhöhten Risikos keine Darlehen von Banken erhalten, da (bisher) die Höhe des Zinssatzes, der für solche Ausleihungen verlangt werden durfte, beschränkt war. Dies führte dazu, dass die etwas risikoreicheren Unternehmen von den großen (Staats-) Banken überhaupt keine Kredite erhielten, da das damit verbundene Risiko mit dem regulierten Zinssatz nicht angemessen honoriert wurde. Die Lücke füllten die “Schattenbanken” mit Zinsen außerhalb der regulierten Vorgaben.

Die größte Gefahr liegt im Wachstum der Unternehmenskredite

Der gesamte Bereich der Unternehmenskredite einschließlich der Ausleihungen an Staatsbetriebe wuchs deutlich schneller als die Kreditaufnahme der Regierung und der Haushalte. Die lokalen Medien in China berichten seit einigen Tagen, dass die Regierung das Fiskal-Defizit in den kommenden Jahren bei 3 % begrenzen will. Wenn dieses Ziel erreicht werden soll, würde dies die Möglichkeiten, die Wirtschaft mit stimulierenden Programmen anzuschieben, stark einschränken. Dieser Zusammenhang macht noch einmal mehr verständlich, dass China die Risiken aus der bisher häufig unkontrollierten Kreditausweitung mit Investitionen in zahlreiche unrentable Projekte begrenzen will.

Die Ausleihungen an Unternehmen wuchsen in China deutlich schneller als die Kreditaufnahme der öffentlichen Hand und der privaten Haushalte. Darein sieht die Zentralregierung das größte Risiko, das jetzt mit entschlossenen Maßnahmen eingedämmt werden soll.
 

Kommentar:
Wenn China die Umstellung von einem investitionsgetriebenen Wachstum, das – wie bisher schon mehrfach bewiesen – leicht und schnell durch staatliche Investitionsprogramme gefördert werden kann, zu einem konsumgetriebenen Wachstum schaffen will, ist die Einschränkung der bisher häufig unkontrollierten Kreditaufnahmen zwingend erforderlich. Die in fast täglichem Rhythmus neu bekanntwerdenden Maßnahmen (Einschränkung der bisher großzügigen Liquiditätsversorgung der Banken, Liberalisierung der bisher regulierten Zinshöhen sowohl auf der Einlagen- als auch auf der Darlehnseite, Bestandsaufnahme aller Kredite, …) zeigen, dass die Zentralregierung entschlossen ist, diese Umstellung mit Nachdruck voranzutreiben. Es wird jedoch Jahre dauern, bis sich überzeugende Erfolge einstellen, und in dieser Zeit werden die Nachrichten über den Zustand der chinesischen Wirtschaft und den Schuldenstand der Unternehmen und der Provinzen immer wieder zu Verunsicherungen und damit zu teilweise stark schwankenden Börsenkursen führen.

 

Walter Feil