Auch 2022 und in weiterer Zukunft wird China einen bedeutenden Beitrag zum weltweiten Wirtschaftswachstum leisten. In 2021 wuchsen jedoch die Besorgnisse über die weitere wirtschaftliche Entwicklung von China, nachdem die Regierung einige Maßnahmen umgesetzt hatte, von denen die internationalen Investoren überrascht wurden.

Der Kurs des Dow Jones China Offshore 50 Index spiegelt die Besorgnisse der internationalen Investoren wieder: Zunächst einmal ging dieser Index im März 2020, als sich in Europa die Pandemie ausbreitete, deutlich weniger zurück als der Weltaktienindex. In der darauf folgenden Erholung der Aktienmärkte stieg die Bewertung dieses Index sogar noch stärker als der Weltaktienindex. Anfang 2021 folgte noch einmal ein extrem starker und schneller Anstieg, nachdem die Investoren die Überzeugung gewonnen hatten, dass die Beschränkungen, die weltweit zur Begrenzung der Pandemie verhängt worden waren, in absehbarer Zeit gelockert würden.

Mitte Februar 2021 drehte die Entwicklung. Der Index fiel zurück und steht Mitte Dezember 2021 wieder auf dem gleichen Niveau wie vor zwei Jahren.

Was war geschehen? Warum gingen die Bewertungen des China Offshore Index (rote Linie in der folgenden Grafik, 50 große international gehandelte Aktien) im Gegensatz zum Weltaktienindex (dünne braune Linie) so schnell wieder zurück?

Grafik: Dow Jones Offshore 50 ETF von iShares letzte zwei Jahre

Quelle: infront

Der CSI 300 (Index der 300 größten Unternehmen in China, orange Linie in der folgenden Grafik) zeigt bis Februar 2021 eine ähnliche Entwicklung. Ab dann jedoch verlief die Entwicklung unterschiedlich, so dass sich innerhalb der zwei betrachteten Jahre ein Unterschied von über 40 % ergab. Auf zwei Jahre liegt der CSI 300 per Saldo gleichauf zum Weltaktienindex.

Grafik: CSI 300 ETF von xtrackers

Quelle: infront

Worin liegt der Unterschied? Warum liefen die beiden Indizes seit Februar 2021 soweit auseinander?

Dow Jones China Offshore 50 Index

Der Dow Jones China Offshore 50 Index ist – wie die Bezeichnung schon anzeigt – auf nur 50 Aktientitel konzentriert. Er bildet die Entwicklung der 50 größten Unternehmen ab, die ihre Umsätze hauptsächlich in China erzielen, jedoch „offshore“, an den Börsen von Hong Kong und den USA, gehandelt werden. Die fünf größten Positionen repräsentieren bereits 39,2 % dieses Index. Dies sind:

  • 10,10 % Alibaba
  • 9,74 % Meituan
  • 9,58 % Tencent
  • 4,89 % China Construction Bank
  • 4,89 % JD.COM

Die Regierung Chinas setzte im ersten Halbjahr 2021 einige Maßnahmen in Kraft, die die Investoren überraschten. Sie erinnern sich: Zwei Tage vor dem Börsengang der Ant Group wurde dieses als weltgrößter Börsengang angekündigte Listing abgesagt. Die Ant-Group hatte ihr Online-Kreditgeschäft ohne die für Finanzunternehmen übliche Aufsicht extrem ausgeweitet. Der Regulierungsbehörde fiel bei der Lektüre des Emissionsprospektes wohl auf, dass Ant zu diesem Zeitpunkt bereits ein Fünftel aller ausstehenden Verbraucherkredite ausgegeben hatte, wobei das Kreditrisiko im wesentlichen von den darin eingebundenen Banken getragen wurde. Damit war ein großer Teil der Kreditrisiken der Kontrolle der Aufsichtsbehörden entzogen, da „Ant“ für sich beanspruchte, ein Tech-Unternehmen (ohne Regulierung) und keine Bank (mit Regulierung) zu sein.

So wurde Alibaba-Gründer Jack Ma zwei Tage vor dem geplanten Börsengang von der chinesischen Finanzaufsicht einbestellt. Ihm wurde verdeutlicht, dass diese Finanzgeschäfte nicht wie geplant im Rahmen eines Tech-Unternehmens (ohne Aufsicht) laufen könnten, sondern nur im Rahmen eines der Regulierung unterliegenden Finanzunternehmens.

Der Kurs der Alibaba-ADRs (ADR: Ein Zertifikat, das von einer US-Bank ausgegeben ist und den Wert einer ausländischen Aktie widerspiegelt) ging von Oktober 2020 bis August 2021 von über 65 auf 25 zurück. Weitere Maßnahmen der Regierung führten dazu, dass auch andere Werte des Dow Jones China Offshore 50 Index stark zurückgingen.

Über die Hintergründe und Zusammenhänge berichtet Mirko Wormuth, der 23 Jahre lang als Anwalt und Unternehmer in China tätig war, auf der Webseite von The Digital Leaders Fund wie folgt:

„Um das harte Durchgreifen Pekings und seine Auswirkungen besser zu verstehen, muss man die Vorgänge nuanciert betrachten. Denn genau genommen, kann man alle der bisher sichtbar gewordenen Maßnahmen in vier separate Kampagnen aufteilen.

  1. Einführung robuster Fintech-Regulierungen.
  2. Maßnahmen gegen weit verbreitete wettbewerbswidrige Praktiken.
  3. Verbesserte Aufsicht über die Datenerhebung und -nutzung.
  4. Sektorspezifische Korrekturmaßnahmen im Rahmen der “Common Prosperity“ Ziele, z.B. im Bildungsbereich.

Diese vier Kampagnen haben zwar gemeinsame Ziele und ähnliche Impulse, jedoch ist jede einzelne für sich genommen einzigartig.

Aber noch viel wichtiger für den geübten Beobachter: es ist wertvoll, bei jeder Aktion der chinesischen Regierung sorgfältig abzuwägen, nicht so sehr “gegen wen” sich eine konkrete Policy richtet, als darüber nachzudenken, “zu wessen Schutz“ eine neue Regulierung ins Leben gerufen wurde. Los geht’s: … „

Es lohnt sich absolut, den gesamten Beitrag zu lesen. Sie werden feststellen, dass viele dieser Maßnahmen durchaus ein Ideen-Reservoir sein können, wie die EU einige Missstände in unseren Regionen abstellen könnte.  Hier ist der Link.

CSI 300 Index

Der CSI 300 Index repräsentiert die 300 größten Unternehmen Chinas, die an den beiden größten Börsen von Festland-China, Shanghai und Shenzhen, gelistet sind. Schon die Anzahl der Positionen (300) lässt vermuten, dass einzelne Unternehmen nur mit einem geringen Prozentsatz im Index vertreten sind. Tatsächlich machen die fünf größten Positionen (es sind fünf Banken) nur einen Anteil von gesamt ca. 10 % aus. Das größte IT-Unternehmen erscheint mit 0,64 %. Die ganze Aufstellung finden sie u. A. auf Wikipedia.

Mit einem ETF auf den CSI 300 Index investieren wir somit in ein breites Spektrum von Unternehmen, die an den Inlands-Börsen von China gelistet sind. Die vor dem Februar 2021 so stark nachgefragten Tech-Unternehmen sind darin nur mit einem sehr geringen Anteil enthalten.

Investments in beiden Welten kombinieren

Für künftige Investments stehen weiterhin beide Welten zur Verfügung:

a) der Dow Jones China Offshore 50 Index mit 50 Positionen und einem Schwerpunkt auf die Tech-Giganten. Diese Werte sind nach dem jüngsten Rückgang jetzt sehr günstig zu haben.

b) der CSI 300 Index mit einer breiten Streuung auf 300 Positionen. Dieser Index repräsentiert einen großen Teil des inländischen Aktienmarkt Chinas.

Die Grafik zeigt den Verlauf der letzten zwei Jahre im Vergleich:

  • Rot: Dow Jones Offshore 50
  • Orange: CSI 300
  • braun: Weltaktienindex zum Vergleich

Quelle: infront

Es könnte durchaus sein, dass die zurückgebliebenen großen Werte künftig einen Teil ihres Rückstandes wieder aufholen.

Positiver Ausblick 2022 und 2023

Der Ausblick auf die Aktienmärkte in China stimmt sehr positiv. Die folgende Grafik zeigt die erwarteten Gewinnzuwächse für 2022 und 2023 in den großen Wirtschaftsregionen. Für alle wesentlichen Regionen (USA, Europa, Japan und Schwellenländer) liegt die Prognose bei um die 8 % Gewinnzuwachs jährlich, für China jedoch bei über 15 %, und dies für beide Jahre 2022 und 2023.

Quelle: JPM, Guide to the Markets, November 2021

Diese überdurchschnittlichen Erwartungen bezüglich der Zunahme der Unternehmensgewinne wird verständlicher, wenn man berücksichtigt, in welcher Entwicklungsphase sich China befindet. In China werden in den kommenden neun Jahren weitere 300 Millionen Menschen in die Verbraucherklasse hineinwachsen. In den USA und in der Eurozone nimmt diese Verbraucherklasse nur noch in geringem Umfang zu, in Japan nimmt diese Gruppe sogar ab. Dies bedeutet, dass in China (genauso wie in Indien) ein gigantisch große Gruppe von Menschen als zusätzliche Käuferschicht in den Konsummarkt eintreten werden, was die Absatz-Chancen der Unternehmen im Binnenmarkt kontinuierlich erhöht.

Grafik: Wachsende Gruppe von Verbrauchern bis 2030

Quelle: JPM, Guide to the Markets, November 2021

Mit diesem positiven wirtschaftlichen Ausblick im Sinn mag es durchaus sinnvoll sein, jetzt einen Anteil „China“ in das Portfolio aufzunehmen. Als ergänzender Hinweis: der vielzitierte Weltaktienindex umfasst nur Positionen aus 23 Industrieländern mit einem eindeutigen Schwerpunkt von über 60 % USA, jedoch keine Positionen aus China.

Walter Feil
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