Die letzten Tage wurden wir von Meldungen über einen Liquiditätsengpass bei chinesischen Banken aufgeschreckt. Erste Kommentare zogen bereits Vergleiche mit der weltweiten Finanzkrise 2008, die nach dem Zusammenbruch der Lehmann-Bank in den USA entstand. Seinerzeit kam der Interbankenmarkt vollständig zum Erliegen. Von einer Minute zur anderen wollte keine Bank mehr die sonst Nacht für Nacht üblichen Ausleihungen an andere Banken zum Ausgleich des täglich wechselnden Liquiditätsbedarfs fortsetzen. Jede Bank mistraute jeder anderen, weil niemand mehr sicher war, dass in Bilanzen der jeweils anderen Bank nicht doch irgendwelche ungedeckten Verpflichtungen versteckt waren, die die Bonität belasten könnten.

Ich halte den Vergleich „China 2013 mit USA 2008“ für überzogen. Ein Bericht aus der gestrigen „ChinaWatch“ von Capital Economics greift das Thema auf und erläutert die Zusammenhänge.

Kurze Einführung in Chinas Interbankenmarkt

Der jüngste Liquiditätsengpass in China hat die Aufmerksamkeit auf den Interbankenmarkt gelegt, dem Investoren ohne ein spezielles Interesse an Chinas Bankensystem bisher nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet haben. Die jüngsten Ereignisse haben auch eine Reihe von falschen Vorstellungen über Gemeinsamkeiten mit dem Interbankenmarkt in den höher entwickelten Volkswirtschaften beleuchtet, die hier erläutert werden sollen.

Verdoppelung des Interbankenmarktes in den letzten fünf Jahren

Chinas Interbankenmarkt wurde in den letzten Jahren dramatisch ausgeweitet. Die Umsätze haben sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt.

Die Umsätze im Interbankenmarkt in China wuchsen vor allem in den letzten fünf Jahren dramatisch an. Der Gesamtmarkt hat sich seit 2008 verdoppelt, wobei vor allem der Umsatz außerhalb des Repomarktes wuchs.

Kleine Banken nehmen Geld auf – Großbanken schwimmen im Geld

Der typische Darlehensnehmer im Interbankenmarkt Chinas ist eine kleinere Bank. Große Banken schwimmen üblicherweise im Geld und fungieren als Darlehensgeber.

Drei Arten von Interbank-Zinssätzen

In China unterscheidet man drei unterschiedliche Arten von Interbank-Zinssätzen.

  1. Der unwichtigste ist der „CHIBOR“. Er ist vom unbesicherten Sichtgeld-Markt abgeleitet, in dem der Handel außerhalb der reinen Übernacht-Ausleihungen sehr dünn ist.
  2. Der „SHIBOR“ wurde im Jahr 2007 als Gegenstück zum LIBOR (London Interbank Offered Rate = die am Bankplatz London zwischen Banken übliche Zinsrate) etabliert, um eine Benchmark (= Vergleichswert) für die Zinskurve zu schaffen. Der SHIBOR basiert auf den Meldungen von 18 großen Kreditinstituten. Jedoch findet auch hier mit längeren Fälligkeiten nur ein relativ geringer Handel statt.
  3. Der am meisten beachtete Zinssatz sind die „Interbank Repo Rates“ (Repo = ein kurzfristiges Finanzierungsinstrument mit einer Laufzeit von im Allgemeinen nicht mehr als einem Jahr, häufig sogar nur wenigen Tagen oder einer Nacht.) Diese Repos (meistens über eine Laufzeit von einem Tag oder einer Woche) repräsentieren über die Hälfte der Interbanken-Transaktionen.

Obwohl diese Repos besichert sind, sind die Zinssätze üblicherweise etwas höher als die vergleichbaren SHIBOR-Sätze, da in diesem Markt der übliche Darlehensnehmer eher kleiner und mit einer geringeren Bonität ausgestattet ist.

Der Interbankenzins wird nicht politisch eingesetzt

Der wesentliche Unterschied zwischen dem Interbankenmarkt in China und vielen anderen Interbankenmärkten ist, dass die PBC (People’s Bank of China = Zentralbank für China) den Interbankenzinssatz nicht als ein finanzpolitisches Werkzeug ansieht. Sie versucht auch nicht, den Zinssatz zu begrenzen, sondern gewährt Banken bereitwillig Zugang zu den Ausleihungen. Es gibt die Möglichkeit zur Rediskontierung, die jedoch wenig genutzt wird.

Im gegenwärtigen Umfeld können die Interbanken-Zinssätze die Rediskont-Zinssätze auch für eine längere Zeit übersteigen.

Die „overnight interbank repo rate“ ist vor kurzem stark angestiegen. Der durchschnittliche Zinssatz liegt im Juni bisher um durchschnittlich etwa 5 % über dem Rediskontierungssatz der PBC.
 

Die Zentralbank steuert die Ausleihungen über den Mindestreservesatz und Offenmarkt-Maßnahmen

Die PBC versucht stattdessen, die Summe der Ausleihungen von Banken zu steuern, indem sie die Höhe der Mindestreserven kontrolliert. Ihre wichtigsten Werkzeuge hierzu sind Veränderungen in der „required reserve ratio“ (RRR), also im geforderten Mindestreservesatz, und bei den Offenmarkt-Operationen, die direkt mit ca. 50 Primärhandlern ausgeführt werden. Seit Januar hat die PBC zusätzlich eine Einrichtung zur Beleihung von besicherten Forderungen, überwiegend mit einer Laufzeit von 1 bis 3 Monaten.

Bei den Offenmarkt-Maßnahmen sind drei Arten zu unterscheiden.

  1. Die erste Maßnahme sind Repos und Reverse-Repos. Mit den Repos zieht die Zentralbank Liquidität vom Markt ab, mit den Reverse-Repos führt sie dem Markt Liquidität zu.
  2. Die zweite Form der Offenmarkt-Maßnahmen bezieht die Ausgabe von Zentralbank-Wechseln mit Laufzeiten von drei Monaten bis zu drei Jahren ein, um Liquidität vom Markt abzuziehen. Diese Möglichkeit wurde die letzten zehn Jahre häufig eingesetzt, um den Kauf von Fremdwährungen auszugleichen. Obwohl die Wechsel verlängert werden, wird dem Markt bei Fälligkeit Liquidität zugeführt.
  3. Im Januar führte die PBC ergänzend eine dritte Maßnahme ein, die „Short-Term-Liquidity-Operation“ (SLO) genannt wird. Dies sind ad-hoc Repos, typischerweise mit einer Laufzeit von weniger als sieben Tagen, die jederzeit eingesetzt werden können.

Die ersten beiden Arten der Offenmarkt-Maßnahmen setzt die PBC jeweils am Dienstag und am Donnerstag ein.

Die Liquidität im Markt wird von zahlreichen Seiten beeinflusst

Weitere Ereignisse, die die Marktliquidität beeinflussen, sind IPOs (Börsengänge) und Bond-Sales (Ausgabe von Anleihen), der Zuwachs von allgemeinen Darlehensvergaben, Umschichtungen in den Kapitalanlagen des Staates, der Wettbewerb zwischen Banken um, Kundeneinlagen, um die satzungsgemäßen Erfordernissen bezüglich der erforderlichen Einlagenhöhe zu erfüllen, die von der PBC selbst durchgeführten Käufe ausländischer Währungen und jahreszeitlich bedingte Veränderungen beim Liquiditätsbedarf, wie dies zum Beispiel vor dem chinesischen Neujahrsfest stattfindet.

Die politische Führung kann schnell eingreifen

Viele dieser Faktoren sind scher vorherzusehen, was zur Folge hat, dass der Marktzinssatz stark schwanken kann. Jedoch dauern die Spitzen in den Zinshöhen üblicherweise nicht lange an, seit die nicht vorhersehbaren Veränderungen der Liquiditätslage sehr schnell ausgeglichen werden können. Wenn zum Beispiel der Kapitalfluss vom Ausland sich plötzlich verringert oder sogar umkehrt, ist nur ein Telefonat von der für die PBC zuständigen Behörde notwendig, um festzustellen, was anliegt und die zur Behebung des Problems notwendigen Offenarkt-Operationen in Gang zu setzen. Die Möglichkeiten der Behörden, auf unvorhergesehene Veränderungen der Liquiditätslage zu reagieren, hat sich seit der Einführung der SLOs (ShortTerm-Liquidity-Operations) stark verbessert.

Der jüngste Liquiditäts-Engpass war kein „Unfall“

Ein genauerer Blick auf den aktuellen Liquiditäts-Engpass zeigt, dass dies nicht notwendigerweise aus der Befürchtung resultiert, dass das Gegenparteien-Risiko gestiegen ist, wie dies 2008 nach dem Zusammenbruch der Lehmann-Bank in den USA geschah. Eine Reihe von Entwicklungen führte zu gestiegenem Liquiditätsbedarf, zum Beispiel ein starkes Kreditwachstum, der Einfluss einer Verlangsamung beim Kauf von Fremdwährungen, saisonale Faktoren in Verbindung mit nationalen Feiertagen und den Wettbewerb um Einlagen, als Produkte aus dem Bereich der „WMPs“ (Wealth-Management-Products = Anlagemöglichkeiten außerhalb des reinen Bankeinlagenbereichs, vergleichbar mit unserem Grauen Kapitalmarkt).

Es sollte klar sein, dass die PBC zahlreiche Möglichkeiten hat, dem Markt Liquidität zuzuführen. Sie kann zum Beispiel jederzeit die Mindestreserven verringern, die derzeit für Großbanken bei 20 % liegen, oder OMOs (Offenmarkt-Operationen) in Gang setzen, wie sie dies in den letzten Tagen auch getan hat.

Der offensichtlichste Punkt in Zusammenhang mit dem jüngsten Liquiditäts-Engpass ist, dass die PBC zwei Wochen lang keine der jederzeit verfügbaren Möglichkeiten eingesetzt hat.

Fazit:
Dieser Bericht und zahlreiche andere Berichte aus China sowie die Kommentare der europäischen Autoren weisen darauf hin, dass die politische Führung Chinas sehr entschlossen ist, das ausufernde Kreditwachstum einzuschränken. Ich rechne damit, dass in den nächsten Wochen und Monaten weitere Maßnahmen bekannt werden, mit denen das Risiko einer Kreditblase eingeschränkt wird. Diese Maßnahmen werden sicherlich das volkswirtschaftliche Wachstum bremsen, jedoch mittel- und langfristig die Risiken aus einer überbordenden Kredit-Expansion reduzieren.

 

Walter Feil