Anleger im Stimmungstief

Derzeit werden wir von allen Seiten mit Nachrichten über die Ausbreitung von Covid-19 und die Folgen für unsere Wirtschaft bombardiert. Auch das ZDF goss Öl ins Feuer und belehrte uns: „Der Dax macht die Krise sichtbar. Er ist ein Seismograph dafür, wie es der Wirtschaft geht“. (Heute-Sendung vom Freitag, 28.02., 19 Uhr, ab Minute 5:26). Die Nachrichtensprecherin Frau Valerie Haller kann vermutlich nichts dafür, so einen Unsinn vorzutragen. Sie hat diesen Text vermutlich nicht selbst verfasst, sondern trägt nur vor, was die Nachrichtenredaktion ihr auf den Prompter spielt.

Hallo, ZDF: Der Dax ist nicht „der Seismograph der Wirtschaft“. Die derzeitige Kursentwicklung des Dax macht sichtbar, wie es um die Stimmung der Anleger bestellt ist!

Bis zum 19. Februar wurde das Handeln der Anleger noch durch Euphorie bestimmt. (Euphorie: eine vorübergehende, subjektiv wahrgenommene überschwängliche Gemütsverfassung) Diese geht meist einher „mit allgemeiner Hochstimmung, … sorgloser Zuversicht und Optimismus.“ Die Anleger waren optimistisch, vor allem wegen der Nachrichten aus China: die Zahl der täglichen Neu-Infektionen ging zurück, das Wirtschaftsleben wurde und wird weiter schrittweise wieder hochgefahren, die Regierung startete zahlreiche Maßnahmen zur Stützung, vor allem mit einem ganzen Strauß von finanzieller Unterstützung für die von Umsatzausfällen gebeutelte Wirtschaft. Die Investoren rings um den Globus kauften Aktien und trieben die Kurse in drei Wochen um sechs Prozent nach oben.  Der Dax legte alleine vom 31.1. bis 19.2. um fast 6 % zu, fast genauso viel wie der Weltaktienindex. (Haben Sie das auch in den Abendnachrichten gehört?)

Dann kam die Nachricht nach Deutschland: Covid-19 ante portas! Mitten in Europa, in Italien, nur 100 km von Mailand entfernt, nur  500 km vor München, war das Virus jetzt präsent! Die Stimmung der Anleger kippte blitzschnell. Binnen Minuten überwogen die Verkaufsaufträge an den Börsen. Damit wurde eine Entwicklung in Gang gesetzt, die wir schon dutzendmal erlebt haben und ganz bestimmt künftig ebenso häufig wieder erleben werden: wenn die Verkaufsaufträge an den Börsen überwiegen, sinken die Kurse. Sie sinken soweit, bis – zu gedrückten Kursen – wieder genauso viele Kaufaufträge vorliegen wie Verkaufsaufträge. Dann stabilisiert sich die Kursentwicklung – bis zum nächsten Stimmungsumschwung.

Grafik: Kursentwicklung des Dax (orange) und Weltaktienindex (braun) vom 31.01. bis 28.02.2020

Quelle: vwd

Wenn wir den Chart etwas genauer betrachten, stellen wir fest:

  1. Es gibt keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Verlauf des Dax (30 Aktien) und des Weltaktienindex (1.640 Aktien)
    Der Kursrückgang war kein „deutsches“ Ereignis, sondern ein weltweites.
  2. Der Rückgang für den gesamten Monat Februar beträgt ca. 8 %.
    Das relativiert die blickfangheischenden Überschriften „Kurssturz 15 % …“

Eine derartige Entwicklung der Börsenkurse liegt absolut im Rahmen der Schwankungen, die Börsenkurse immer schon hatten und immer wieder haben werden. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der beiden Indizes über den Zeitraum der letzten zehn Jahre. Immer wieder wechseln Phasen von Übertreibung (… Euphorie) und Pessimismus ab. Auffällig ist allerdings die Plötzlichkeit, mit der Stimmungsumschwung stattfand.

Übrigens: Die beiden geraden Linien in der folgenden Grafik deuten die durchschnittliche Wertentwicklung der beiden Indizes in den letzten zehn Jahren an:

  • 10,7 % plus im Jahresdurchschnitt für den Weltaktienindex
  • 7,5 % plus im Jahresdurchschnitt für den Dax

jeweils berechnet unter Einschluss des Rückgangs seit dem 19.02.2020

Quelle: vwd

Ausblick auf den März

Die Entwicklung der Kurse wird in den kommenden Wochen ganz wesentlich von der Stimmung der Investoren beeinflusst werden. Diese wiederum hängt von den Erwartungen ab, ob und wie schnell die Ausbreitung von Covid-19 unter Kontrolle gebracht werden kann. China hat es geschafft, die tägliche Zahl der Neu-Infektionen im Land zu senken. Ist das auch in Europa möglich? Wenn ja, wird sich das Stimmungsbild der Investoren sehr schnell wieder bessern, was zu wieder steigenden Kursen führen wird.

Die Wirtschaft in Deutschland und ganz Europa spürt jetzt die negativen Folgen der Globalisierung. Das Bestreben, jedes Teil, das für die Herstellung eines komplexen Produktes (z.B. eines Autos) benötigt wird, genau dort herstellen zu lassen, wo es am billigsten ist, führt jetzt zum Stop unserer Fließbänder und zum Schließen ganzer Fabriken. Es wird eine Weile dauern, bis die alten Lieferketten wieder funktionieren oder Ersatzlieferanten gefunden sind. Dies wird zu einem Rückgang von Umsatz und Gewinn und damit in den betroffenen Branchen auch zu einem Rückgang der Aktienkurse führen. Anleger kaufen die diskontierten Gewinne der nächsten Jahre! Wenn diese geringer als bisher erwartet sind, sinken die Kurse.

Investitionen, die jetzt im Stimmungstief verschoben werden, werden bei einer Stabilisierung der Rahmenbedingungen nachgeholt. Dies kann zu einer schnellen Aufhellung der Erwartungen und damit zu einem schnellen Kursanstieg in den betroffenen Branchen führen.

Das von mir erwartete Szenario ist:

  1. Die Marktteilnehmer werden die nächsten Wochen beginnen, die Situation wieder etwas sachlicher zu beurteilen.
  2. Die Börsenkurse werden sich wieder etwas erholen. Dies kann (wie die CB meint) V-förmig, also recht schnell, geschehen, oder auch (wie BlackRock meint) U-förmig, also erst nach einigen Wochen oder Monaten einer volatilen Bodenbildung.
  3. Ein Kontrollverlust über die Ausbreitung des Virus wird die Stimmung allerdings noch mehr verschlechtern und damit die Börsenkurse noch mehr nach unten drücken.

Was bedeutet dies für die Allokation von Investitionen?

Nach dem extrem schnellen Rückgang seit dem 19.2. erscheint mir ein Ausstieg aus den Märkten per 1.3.2020 nicht sinnvoll. Die Wirtschaft steht nicht vor dem Zusammenbruch. Falls die Möglichkeit besteht, würde ich eher über einen Kauf zu gedrückten Kursen nachdenken.

Als Risiko verbleibt jedoch ein Kontrollverlust über die Ausbreitung des Virus.

So komme ich zum wiederholten Mal zu der Empfehlung, für die Allokation in den Aktienmärkten – egal, ob im Rechtsrahmen eines Depots oder im Rechtsrahmen einer steuerbegünstigten Versicherung – nur einen Teil des Gesamtvermögens vorzusehen. Weitere Bestandteile sind Investitionen in stabil ausschüttende Immobilienfonds, in Geld (ohne Ertrag, jedoch absolut schwankungsfrei) und in weitere Bausteine der ganzheitlichen Vermögensanlage.

Walter Feil
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