Investoren in den Aktienmärkten diskutieren weiterhin die gleichen Fragen wie in den Vormonaten:

  • Wie stark wird die Inflation steigen?
  • Wann werden die Notenbanken ihre expansive Geldpolitik zurückfahren?
  • Ab wann und wie stark werden die Zinsen steigen?

Wir könnten jeden Tag Stunden damit verbringen, Kommentare zu diesen Fragen zu lesen. Es wird sich allerdings nichts an der seit Jahrzehnten bekannten Entwicklung ändern: die Börsenkurse werden jeden Tag, ja eigentlich jede Minute in Bewegung sein, abwechselnd in beide Richtungen. Als Langfrist-Investoren richten wir unseren Blick mit Vorteil auf die mittel- und langfristige Entwicklung. Der Analysedienst Capital Economics (CE) liefert uns hierzu hilfreiche Informationen wie folgt:

Kurzfristig weiterhin volatil, langfristig tendenziell aufwärts

Capital Economics skizziert die Erwartungen bezogen auf den S&P 500, dem Index für die 500 größten Unternehmen der USA,  wie folgt:

In der Wertentwicklung des S&P 500 ist gut zu erkennen:

  • Der Rückgang Ende 2018 und die darauf folgende schnelle Erholung Anfang 2019
  • Der massive Kurseinbruch im Februar/März 2020 mit Ausbruch der Pandemie und die extrem schnelle Erholung in den darauf folgenden Monaten
  • Die Verlangsamung des Kursanstiegs in den letzten Wochen

Capital Economics erwartet für die kommenden zweieinhalb Jahre weiterhin einen Kursanstieg, jedoch nicht mit dem gleichen Tempo wie in den vergangenen Jahren. Aus meiner Sicht ist dies eher eine Rückkehr zur Normalität: langfristig spiegeln die Börsenkurse das Trendwachstum der Wirtschaft wieder. Dies mag bei etwa 6 % im jährlichen Durchschnitt liegen. Die letzten Jahre lag der Kursanstieg des S&P 500 deutlich darüber, was vor allem auf das schnelle Wachstum der Anbieter von digitalen Dienstleistungen zurückzuführen ist.

Die Kursentwicklung wird nicht so gleichmäßig vonstatten gehen wie in der Grafik als tendenziellen Kursanstieg gezeigt Es wird Schwankungen geben wie auch in den letzten Jahren. Spekulanten und Kurzfrist-Trader mögen darin ihre Chance suchen. Wenn wir so eine Trading-App öffnen, lesen wir allerdings gleich auf der Startseite (Beispiel: CMC Markets) den Hinweis: „73 % der Kleinanlegerkonten verlieren Geld beim CFD-Handel …“

Aktienmärkte legen weiter zu, jedoch etwas langsamer

Kehren wir zurück zur Vorschau von Capital Economics. Ausgehend von den Kursen vom 20. Mai 2021 deutet der Ausblick bei allen aufgeführten Börsen per Ende 2021 einen höheren Kurs an. Auch für 2022 erwartet CE die Fortsetzung dieser positiven Entwicklung.

Quelle: Capital Economics

Die Commerzbank (CB) erwartet ebenfalls eine Abflachung der Aktienkursentwicklung. Die letzte Dekade mit durchschnittlichen Wertzuwachsraten von über 10 % im Durchschnitt mehrerer Jahre wird sich vermutlich nicht wiederholen. Eine Rückkehr auf das langfristige Trendwachstum der Wirtschaft von etwa 6 % bedeutet jedoch immer noch 6 % mehr Wertzuwachs als auf einem  Geldkonto ohne Zinsertrag. Die Commerzbank sieht im Aktienmarkt „die einzige Chance, Gewinne über der Inflation zu erwirtschaften“, fügt jedoch auch immer wieder den Hinweis auf Investments in Immobilien hinzu. Das Welt-Wirtschaftswachstum sieht die Commerzbank für 2021 bei 6 %, die Inflation bei 1,9 % im Euroraum und bei 2,9 % in den USA. Den DAX30 und den S&P 500 erwartet die CB auf Sicht von 12 Monaten um 5 bis 10 % höher als Ende Mai 2021.

Die DWS erwartet für die USA ein Wachstum von 6,7 % in 2021, eine Inflationsrate von 2,0 % für die Eurozone und 2,8 % für die USA. Kurzfristig sieht die DWS in einigen Bereichen einen Anstieg der Preise über Durchschnitt. Dies resultiert vor allem aus dem Mangel an Produkten wegen beschädigter Lieferketten und erhöhten Transportkosten. Dieser Effekt ist vorübergehend. Mit der Wiederingangsetzung funktionierender Lieferketten wird der Engpass behoben. Der Preisauftrieb flacht sich sodann wieder ab.

Zinserträge bleiben niedrig

Die Veränderung der Zinsen für 10-jährige Staatsanleihen sieht Capital Economics sehr moderat. Ende 2022 werden wir in Deutschland immer noch keinen Zinsertrag auf 10-jährige Anleihen sehen, in Italien 0,80 %, in UK 1,50 %, in den USA dagegen 2,5 % (20. Mai 2021 in den USA zum Vergleich: 1,67 %)

Quelle: Capital Economics

Dies bedeutet, dass die Dividendenerträge aus dem Aktienmarkt im Vergleich zu den Zinserträgen aus Anleihen immer noch attraktiv sind. Die Dividenden sind der oben angeführten Kursentwicklung (mit Ausnahme vom DAX 30) noch hinzuzurechnen.

Aus dieser Vorschau resultieren für jeden Langfristanleger zwei Empfehlungen:

  1. Investiert bleiben mit Blick auf die mittel- und langfristige Entwicklung
  2. Nach einem Kursrückgang prüfen, ob noch ein paar Euro auf dem Konto verfügbar sind – und zukaufen, wenn die Kurse günstig sind.

China ist im Weltindex nicht angemessen repräsentiert

Der Aktienmarkt von China Inland ist im MSCI World, der sich auf 23 Industriestaaten fokussiert, nicht enthalten. Im weiter gefassten Index MSCI AC („AllCap“ = alle Werte, inklusive Werte aus den Emerging Markets) sind Aktien von China mit 4,31 % enthalten. Damit sind chinesische Titel auch in diesem Index deutlich unterrepräsentiert. Vergleichen wir die Wirtschaftsleistung, die die einzelnen Länder zum Welt-BIP beitragen, so liegt der Anteil von China mittlerweile bei 19 %.

Aktienmarkt von China Inland erscheint aussichtsreich

Der CSI 300 (Index für die 300 größten Unternehmen in China Festland) hat von Januar bis Mitte Februar 2021 einen schnellen Anstieg erlebt. Dann ging der Index bis Mitte März zurück und bewegte sich seitdem tendenziell seitwärts. Die großen Investoren lenkten ihr Kapital eher in den US-Aktienmarkt in Erwartung großer Programme zur Stimulierung der US-Wirtschaft. China hatte zu diesem Zeitpunkt die Pandemie bereits überstanden und fuhr seine Unterstützungsmaßnahmen zurück.

Für die kommenden Monate und Quartale erwarte ich von dieser Wirtschaft, die immerhin 19 % des weltweiten BIP repräsentiert, eine weiterhin positive Entwicklung. Der große Indexanbieter MSCI (Morgan Stanley Capital International) hat bereits angekündigt, dass Aktien von Unternehmen in China künftig einen größeren Anteil in den weltweiten Indizes erhalten werden. Diese Umstellung soll schrittweise erfolgen.

So kommen einige Punkte zusammen:

  • Der Anteil Chinas am weltweiten Bruttosozialprodukt wird weiter zunehmen.
  • Chinesische Unternehmen werden schrittweise einen größeren Anteil an weltweiten Indizes erhalten.
  • Das Wirtschaftswachstum in China in 2021 wird (wieder einmal) stärker sein als in allen etablierten Industriestaaten.

Für den Langfrist-Investor empfiehlt es sich deswegen, in seinem Portfolio einen angemessenen Anteil von Aktien chinesischer (oder etwas weiter gedacht: asiatischer) Unternehmen zu halten.

Walter Feil